So war es im Vorjahr, so ist es auch 2019: Red-Bull-Cheftrainer Marco Rose stemmt den Meisterteller.

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Nach der Fixierung des sechsten Meistertitels en suite mutierten Fußballer und Betreuer von Red Bull Salzburg nach den Worten des enthusiasmierten Sportdirektors Christoph Freund von "Mentalitätsmonstern" in "Feierbiester". Dem 2:1 bei der Austria folgte noch in Wien der Besuch eines Würstelstands, dann ein für das Fortkommen nicht zwingend nötiger Tankstopp auf der Westautobahn und ab Mitternacht der ausgiebige Besuch einer Salzburger Disco. Für deren Inbetriebnahme mussten Spieler nicht einmal die Kontakte in die Unterwelt spielen lassen, die ihnen der scheidende Coach Marco Rose unterstellt hatte.

Über gröbere Feierlichkeiten organisierter Fangruppen wurde nichts bekannt. Für Bäder im Barockbrunnen auf dem Residenzplatz war es Sonntagnacht zugegebenermaßen auch eindeutig zu unwirtlich. Eine Tradition des Feierns wollte sich aber trotz der imposanten Bilanz von nunmehr 15 Titeln (neun Meisterschaften, sechs Cupsiege) seit dem Engagement von Red Bull im April 2005 nicht entwickeln.

Emotionalisierungsproblem

Zum achten Meisterstück am 6. Mai 2018 gegen Verfolger Sturm Graz waren knapp 15.000 Zuseher in die 30.000 Menschen fassende Red-Bull-Arena gekommen. Wenn der Meisterteller in diesem Jahr überreicht wird, dürften es kaum wesentlich mehr sein. Freilich würde Sportdirektor Freund nicht den einen oder anderen Erfolg gegen mehr Zuspruch eintauschen, wie er nach dem Spiel gegen die Austria wissen ließ.

Emotionalisierung auch über die eigene, kleine Fanbasis hinaus ist RB Salzburg bisher nur da und dort mit den großartigen Auftritten im Europacup gelungen. Im nationalen Alltagsgeschäft will sie sich nicht einstellen.

Geschichtsverlust

Für den Historiker und Sportwissenschafter Rudolf Müllner (58) leidet der Serienchampion noch immer am Makel, als Retortenklub wahrgenommen und mit der alten Salzburger Austria verglichen zu werden. Die Bilder des randvollen Lehener Stadions – das mittlerweile dem Stadtteilzentrum Neue Mitte Lehen gewichen ist – seien noch lebendig. "Durch die Neugründung ist ein Stück Fußballgeschichte abhandengekommen. Red Bull Salzburg, das ist wie Manhattan, sehr ansehnlich und auch faszinierend, aber Florenz ist etwas anderes."

Tradition, das gemeinsame Erleben von Geschichte mit Tiefs und Hochs, könne sich auch in eineinhalb Jahrzehnten nicht entwickeln. Und sie sei auch nicht zu kaufen. Müllner: "Fußballvereine leben von emotionaler Bindung." Die entstehe aus einer kleinen Erzählung, die wächst. Dieser Traditionskorpus werde auch durch den Zug der Zeit, die Kommerzialisierung des Fußballs, kaum berührt. Müllner, der Leiter des Arbeitsbereichs Sozial- und Zeitgeschichte des Sports an der Uni Wien, führt das Beispiel Rapid an. "Die Aura spüren auch Fans, die nicht hunderte oder tausende Spiele mitgegangen sind und quasi Blut, Schweiß und Tränen vergossen haben. 'Wir sind Rapid' sagt auch ein achtjähriger Bub, obwohl der keine Ahnung hat, was es bedeutet, dass das ein Arbeiterklub war."

"Wir sind Salzburg" zu sagen falle dagegen auch bei internationalen Erfolgen schwer. "Dazu ist es vielleicht auch zu perfekt." Für Red Bull Salzburg nachteilig sei zudem, dass der pure Erfolg im Gegensatz zu protestantisch geprägten Kulturen in Österreich per se verdächtig sei.

Leidensgeschichte

Mit einer sympathiestiftenden Leidensgeschichte kann der Meister nur in Ansätzen im bisher vergeblichen Bemühen aufwarten, sich für die Champions League zu qualifizieren. Elfmal en suite hat es bisher nicht zum Einzug ins Schlaraffenland des europäischen Fußballs gereicht. Kommende Saison ist die Teilnahme fix, es sei denn, Ajax Amsterdam gewinnt den laufenden Bewerb und kann als Titelverteidiger den Salzburger Platz für sich reklamieren. Fast ist in dem Fall mehr von Schadenfreude denn von Mitleid für Red Bull Salzburg auszugehen. (Sigi Lützow, 6.5.2019)