David Keenans Roman heißt im Original "This is Memorial Device". Auf Deutsch trägt er den rekorverdächtigen Titel: "Eine Impfung zum Schutz gegen das geisttötende Leben, wie es an der Westküste Schottlands praktiziert wird".

Foto: Heather Leigh

Irgendwann einmal ab dem zweiten Drittel ist der Roman endlich in Fahrt gekommen. Über einen Sonnenuntergang im nasskalten Schottland ist in der Literaturgeschichte vielleicht noch nie ein so schöner Satz wie dieser zu lesen gewesen: "Wir trafen in Kilmarnock ein, als die Sonne unterging, obwohl es einem eigentlich eher so vorkam, als hätte irgendein Arschloch sie in einen schwarzen Strumpf gestopft und auf einen leeren Parkplatz geworfen."

Wer schon einmal im schottischen Nirgendwo versuchte, zwischen dem lästigen Starkregen durchzutänzeln und dabei nicht depressiv zu werden, weiß, dass es sich dabei um ein stimmiges Bild handelt. Möglicherweise auch deshalb ist der Titel von David Keenans Roman This is Memorial Device im Vergleich zum Original von 2017 in der nun vorliegenden deutschen Übersetzung etwas länger und anschaulicher geraten: Eine Impfung zum Schutz gegen das geisttötende Leben, wie es an der Westküste Schottlands praktiziert wird.

Backstage zwischen Bierkisten

Obwohl in Keenans Roman alles erfunden ist, musste sich der Autor für die Geschichte des Misserfolgs einer fiktiven schottischen Post-Punk-Band namens Memorial Device der späten 1970er- und frühen 1980er-Jahre nicht viel ausdenken. Der 1971 geborene Mann aus Glasgow war in den 1980er-Jahren selbst Musiker in diversen nicht ganz so berühmten Underground-Formationen.

Er kennt die Verzweiflung, die einen befällt, wenn man in einer schlechten Gegend mit einer schlechten Band in abgefuckten, versifften Hütten backstage zwischen Bierkisten herumsitzt und sich gegenseitig hassend auf einen Auftritt wartet, der eh niemanden interessiert, weil im Fernsehen gerade ein wichtiges Fußballspiel aus der Regionalliga läuft.

Musik, Drogen, Sex

Später stieg David Keenan zu einem der renommiertesten Musikjournalisten Großbritanniens auf (The Wire, Mojo, Uncut, NME), produzierte Radioshows (für Ricky Gervais) und kuratierte Festivals. In seinem Debütroman This is Memorial Device – Untertitel: An Hallucinated Oral History of the Post-Punk Scene in Airdrie, Coatbridge and Environs, 1978–1986 – lässt Keenan ein paar Handvoll individuell nicht immer leicht unterscheidbare Protagonisten die Geschichte einer Jugend in Form von Monologen, Interviews, E-Mails etc. nacherzählen.

Ganz im Sinne der Freizeitkultur der britischen Insel spielt sich das Leben in der realexistierenden westschottischen Kleinstadt Airdrie, abgesehen von irgendwelchen Scheißjobs als Kellner, Pflegerin oder Burger-Brater, verzweifelt-lebensfroh mit jeder Menge Musik, Drogen, Sex und unerfüllten Träumen als Behelfsmitteln gegen den grauen, verregneten Alltag ab. Der ruppige Sound der lokalen Nachwuchshoffnung Memorial Device deckt sich mit den Lebensumständen: "Sie klangen wie Airdrie, was heißen soll, sie klangen wie ein beschissenes Schwarzes Loch. Alle liebten oder hassten sie, und die, die sie hassten, liebten sie gleich doppelt."

Alles geht schief

Der raue Tonfall, den David Keenan wählt, ist authentisch, wenn auch die Protagonisten bis zum Schluss etwas austauschbar bleiben. Wer aber wissen will, wie der schottische Musik-Underground dieser untergegangenen Zeit um reale Bands wie Josef K oder Orange Juice funktioniert haben mag, für den stellt Eine Impfung gegen das geisttötende Leben ... eine vergnügliche Lektüre inklusive lustigen Registers dar, für das wenig Hoffnung besteht, es im Internet tatsächlich zu finden.

Iggy Pop, Roxy Music, Television, The 13th Floor Elevators, Can, Public Image Ltd., Lou Reed. Irgendwo bei Spotify existieren auch begleitende Playlists zu diesem historischen Roman der Neuzeit. Aber das Leben nach Airdrie ist nicht besser geworden. Spotify ist böse. Alles geht schief. (Christian Schachinger, 7.5.2019)