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Laut der Stringtheorie besteht die Welt auf fundamentalster Ebene nicht aus Teilchen, sondern aus winzigen Fäden – den Strings.

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"Die Geschichte hat gezeigt, wie wichtig mathematische Schönheit in der Physik ist", sagt der belgische Physiker Marc Henneaux.

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Um das Universum im Großen zu beschreiben, bedienen wir uns seit über 100 Jahren der Relativitätstheorie von Albert Einstein. Die Vorgänge im Mikrokosmos gehorchen wieder um den Regeln der Quantenmechanik. Doch wie hängen die beiden Theorien zusammen? Gibt es eine Theorie, mit der sich alles abdecken lässt? Und wie könnte sie aussehen? Mit Fragen wie diesen beschäftigt sich der belgische Physiker Marc Henneaux. Kürzlich war er auf Einladung der Jungen Akademie der ÖAW und des Erwin-Schrödinger-Institut für Mathematik und Physik in Wien.

STANDARD: Sie forschen zur wohl größten offenen Frage in der Physik – worum geht es dabei?

Henneaux: Es geht darum, die Quantenmechanik mit der Relativitätstheorie zu vereinheitlichen – wir sprechen dabei von Quantengravitation. Wir wissen, dass diese Theorien in ihren jeweiligen Anwendungsfeldern sehr erfolgreich sind. Wenn wir aber versuchen, die beiden Theorien zusammenzuführen, stoßen wir auf viele Probleme. Das ist eine recht frustrierende Situation, die seit vielen Jahren anhält. Bereits in den 1930er-Jahren haben Physiker wie Wolfgang Pauli oder Werner Heisenberg erkannt, dass es schwierig sein wird, die Quantengravitation zu entwickeln. Und tatsächlich arbeiten wir fast 90 Jahre später immer noch daran.

STANDARD: Die Relativitätstheorie beschreibt die Physik im Großen, die Quantenphysik im Kleinen – wo begegnen sich die beiden Theorien überhaupt?

Henneaux: Nicht in unserer Alltagswelt, denn da sind quantenmechanische Effekte vernachlässigbar. Es gibt aber extreme Situationen, wo Relativitätstheorie und Quantenmechanik aufeinandertreffen, zum Beispiel beim Urknall oder bei Schwarzen Löchern.

STANDARD: Welche Rolle spielt die Quantengravitation bei der Entstehung des Universums?

Henneaux: Wir wissen aus Beobachtungen, dass sich das Universum ausdehnt. Wenn wir in der Zeit zurückgehen, war das Universum also immer kleiner und dichter. Um die Anfänge des Universums zu beschreiben, sind sowohl Quanten- wie auch Gravitationseffekte wichtig. Wir hoffen, dass wir durch eine Theorie der Quantengravitation den Urknall besser verstehen können und damit den Ursprung des Universums und unserer eigenen Existenz.

STANDARD: Es gibt verschiedene Ansätze, um Relativitäts- und Quantentheorie zu vereinheitlichen. Auf welches Pferd setzen Sie?

Henneaux: Wir müssen die Augen offen halten, denn wir wissen noch nicht, welche die richtige Theorie ist. Für mich ist bisher der überzeugendste Ansatz die Stringtheorie. Demnach sind die fundamentalen Elemente keine Teilchen, sondern ausgedehnte Objekte – Strings. In unseren Maßstäben sind sie allerdings so klein, dass sie wie Punkte aussehen. Die Stringtheorie gibt es schon seit vielen Jahren, und sie ist auch mit Frustration verbunden. Es konnten zwar Fortschritte erzielt werden, aber einige Fragen haben wir noch nicht beantwortet. Uns fehlen die fundamentalen Prinzipien der Stringtheorie.

STANDARD: Bislang gibt es auch noch keine Experimente, die die Stringtheorie bestätigen. Wann könnte es so weit sein?

Henneaux: Dass es keine Experimente gibt, ist eines der Probleme der Quantengravitation. Es kann für eine physikalische Theorie gefährlich sein, wenn es keine Daten gibt. Wir brauchen Tests, die zeigen, dass Einsteins Theorie nicht richtig ist, oder Experimente, die über die Reichweite dieser Theorie hinausgehen. Dafür braucht es sehr große Energien. Kurz nach dem Urknall hat es solche enormen Energien gegeben. Daher hoffen wir, dass uns Beobachtungen aus dem frühen Universum Hinweise auf die Quantengravitation liefern können. Ich mag es nicht, Vorhersagen zu machen, aber es gibt Leute, die optimistisch sind, dass wir schon in den 2030er-Jahren Daten zur Quantengravitation bekommen könnten.

STANDARD: Welche Anhaltspunkte gibt es in der theoretischen Physik, solange keine Daten vorliegen?

Henneaux: Vor allem im 20. Jahrhundert hat die Geschichte der Physik gezeigt, wie wichtig mathematische Schönheit und Konsistenz in der Physik ist. Symmetrien spielen dabei eine zentrale Rolle. Der Physiker Paul Dirac hatte dazu eine extreme Einstellung: Er sagte, wenn man zwischen zwei Theorien wählen muss, einer schönen und einer, die momentan vielversprechender aussieht, sollte man sich für die schöne Theorie entscheiden, denn letztlich wird es die richtige Theorie sein.

STANDARD: Ist mathematische Schönheit ein zwingendes Kriterium für die Richtigkeit einer physikalischen Theorie?

Henneaux: Philosophisch gesprochen würde ich sagen, nein. Aber für die Theorien, die wir kennen, funktionieren Symmetrien sehr gut, und sie waren in der Vergangenheit ein leitendes Prinzip, um Theorien zu entwickeln. Manchmal waren wir in Situationen, wo wir nicht genau verstanden haben, was vor sich geht. Mit Symmetrie-Überlegungen konnten wir wesentliche Fortschritte erzielen, die später auch experimentell bestätigt worden sind.

STANDARD: Die Relativitätstheorie hat unser Verständnis von Raum und Zeit fundamental verändert. Was wissen wir heute darüber?

Henneaux: Was die Natur von Raum und Zeit ist, dazu kann heute niemand eine fundierte Antwort geben, das ist eine der zentralen Fragen der Quantengravitation. Vor Einsteins Relativitätstheorie war die Raumzeit ein fixer Rahmen, in dem die Physik stattfindet. Dann zeigte Einstein, dass die Raumzeit kein fixes Objekt ist, sondern durch Materie gekrümmt werden kann. Die Quantenmechanik sagt uns, dass jedes dynamische Objekt fluktuiert. Das würde auch für Raum und Zeit gelten.

STANDARD: Warum ist es Ihrer Meinung nach trotz ansprechender Anwendungen der Quantenphysik wie des Quantencomputers wichtig, die Grundlagenforschung nicht aus dem Blick zu verlieren?

Henneaux: Der Physiker Niels Bohr hat einmal gesagt, wenn man nicht über die Quantenmechanik entsetzt ist, hat man sie nicht verstanden. Die Quantenmechanik ist wirklich verrückt, ich denke, dass jeder Physiker ein wenig Unbehagen sie betreffend verspürt. Viele Physiker sind daher der Meinung, dass die aktuelle Interpretation der Quantenmechanik noch nicht das letzte Wort sein kann. (Tanja Traxler, 9.5.2019)