Eierstockkrebs entwickelt sich rasend schnell. Die gute Nachricht: Es gibt eine Reihe neuer Medikamente, die sich langfristig als sehr erfolgreich im Kampf gegen die hochaktiven Krebszellen erweisen.

Christian Schauer ist Gynäkologe und am Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in Graz auf Krebserkrankungen spezialisiert. In der österreichischen Arbeitsgemeinschaft für gynäkologische Onkologie wird er demnächst die Rolle des Präsidenten übernehmen.

Foto: privat

STANDARD: Die Diagnose Krebs ist für jede Patientin einschneidend. Wie sieht ein auf Eierstockkrebs spezialisierter Onkologe die Erkrankung?

Schauer: Ein Ovarialkarzinom ist eine schwierige und sehr aggressive Krebsart. Sie entwickelt sich nicht langsam und über die Jahre, sondern extrem schnell. Das heißt, die meisten Karzinome wachsen auch extrem rasant. Es scheint von der Wachstumsdynamik ähnlich wie bei Pilzen im Wald zu sein.

STANDARD: Welche Beschwerden haben betroffene Frauen?

Schauer: Meistens ist es eine massive Zunahme des Bauchumfangs, die die Frauen zum Arzt gehen lässt. Andere Symptome sind Bauchweh oder starker Appetitverlust. Das Problem ist, dass zu diesem Zeitpunkt der Eierstockkrebs schon im Spätstadium ist. Das ist bei 70 bis 80 Prozent der Patientinnen der Fall.

STANDARD: Früherkennung ist also nicht möglich?

Schauer: Nein, zum jetzigen Zeitpunkt nicht. Allerdings hat sich gezeigt, dass es bei Eierstockkrebs eine starke genetische Veranlagung gibt. Dasselbe Gen, das für eine bestimmte Art von Brustkrebs verantwortlich ist, spielt auch beim Eierstockkrebs eine Rolle. Wir testen also jede Patientin mit Eierstockkrebs auf BRCA1 und BRCA2.

STANDARD: Angelina Jolie ist eine der berühmtesten Trägerinnen, die sich Brüste und Eierstöcke wegen dieses Gens entfernen haben lassen.

Schauer: Genau. Ihrer Entscheidung zugrunde liegt eine Studie, die eindeutig zeigt, dass Trägerinnen des BRCA1- oder BRCA2-Gens mit einer Wahrscheinlichkeit von 60 bis 70 Prozent bis zu ihrem 80. Lebensjahr Eierstockkrebs entwickeln werden. Diese Erkenntnis war bahnbrechend in der gynäkologischen Onkologie. Jede Patientin wird heute getestet.

STANDARD: Was bedeutet das für die Töchter dieser Patientinnen?

Schauer: Ein erhöhtes Risiko. Ob ein defektes Gen weitervererbt wird oder nicht, liegt bei 50 Prozent. Oft reicht ein Blick in die Familiengeschichte. Wenn die Mutter und die Großmutter Eierstock und/oder Brustkrebs hatten, könnte eine genetische Prädisposition vorliegen. Ich muss allerdings auch einschränken: Nur 15 bis 20 Prozent aller Patientinnen mit Eierstockkrebs sind BRCA1- oder BRCA2-positiv. Der überwiegende Teil der Patientinnen hat die Erkrankung ohne diese genetische Disposition.

STANDARD: Hat eine gesunde Frau ein Anrecht darauf, sich darauf testen zu lassen?

Schauer: Nein, dieses Anrecht gibt es derzeit nicht.

STANDARD: Was genau macht das BRCA?

Schauer: Es ist ein defektes Gen, das bei der Replikation des genetischen Materials Fehler macht und krankes Gewebe bilden kann. Allerdings hängt diese Entwicklung auch von einer ganzen Reihe anderer Gene sowie von Umweltfaktoren ab. Die genetische Grundkonstellation ist ein Faktor von vielen, die die Entstehung von Krebs begünstigen. Die anderen Modulatoren kennen wir leider noch nicht alle.

STANDARD: Was passiert nach der Diagnose?

Schauer: Fast jede Patientin durchläuft eine Kombination aus Operation und Chemotherapie. Bei vorerst nicht operablen Tumoren wird neo adjuvant eine Chemotherapie angewendet, um den Tumor zu schrumpfen zu lassen, damit er besser operiert werden kann. Oft steht aber auch die Operation am Anfang. Dann folgen sechs Zyklen Chemotherapie mit Carboplatin und Taxan. Das Ansprechen auf die Therapie ist für uns Onkologen ein wichtiger Hinweis für die Erhaltungstherapie danach.

STANDARD: Können Sie das genauer erklären?

Schauer: Je besser eine Frau anspricht, umso besser auch die Chancen für die Erhaltungstherapie nach der Chemotherapie. Diese Erhaltungstherapie, bei der wir sogenannte PARP-Inhibitoren und antiangiogenetische Antikörper einsetzen, hält die Krebszellen gut in Schach, zeigen neueste Untersuchungen. Das Fünf-Jahres-Überleben hat sich mit diesen neuen Wirkstoffen in den letzten Jahren deutlich verbessert. Das ist ein wirklicher Durchbruch. Die PARP-Inhibitoren sind in Österreich erst seit zirka zwei Jahren im Einsatz, insofern haben wir auch noch keine Langzeitdaten, nur Hinweise darauf, dass diese Therapie sehr gut wirksam ist.

STANDARD: Wer bekommt diese neuen Medikamente?

Schauer: Jene Patientinnen, die im Rezidivfall gut auf Carboplatin ansprechen, und zuvor schon eine antiangiogenetische Substanz erhalten haben, und jene die BRCA positiv sind. Seit Kurzem bekommen auch Patientinnen mit der BRCA-Mutation die Erhaltungstherapie einem PARP Inhibitor gleich in der ersten Therapie, also nicht erst nach einem Rückfall. Denn es hat sich gezeigt, dass ein Wiederauftreten des Tumors dadurch deutlich verzögert ist.

STANDARD: Wie genau?

Schauer: Krebszellen haben eine starke Tendenz zu überleben. Chemotherapie setzt ihnen zu, aber immer stellen zelleigene Reparaturmechanismen die Kraft der Krebszelle wieder her. PARP-Inhibitoren verhindern das. Früher bekamen nur Patientinnen, die bereits einen Rückfall hatten, diese Medikamente. Doch wir verabreichen sie eben jetzt auch in der Erstlinie.

STANDARD: Was heißt Erstlinie?

Schauer: Die Verabreichung eines Medikaments im Rahmen der ersten Behandlung. Wie sich zeigt, profitieren BRCA-positive Patientinnen und auch 50 Prozent der BRCA-negativen Patientinnen. Diese Therapieerfolge haben uns im letzten Jahr wirklich überrascht. In der Onkologie gibt es solche positiven Meldungen nicht oft.

STANDARD: So gut, dass man von Heilung sprechen kann?

Schauer: Wir nennen sie Super-Responderinnen, das sind etwa zehn bis 15 Prozent jener Patientinnen, die mit dieser Erhaltungstherapie bereits sechs bis acht Jahre leben. Wir sind gerade dabei zu klären, inwieweit eine Kombination aus PARP-Inhibitoren und antiangiogenetischen Antikörpern einen Vorteil bringen kann. Zudem gilt es langfristig auch die Frage zu klären, wie lange man diese Erhaltungstherapie einnehmen muss.

STANDARD: Denn ein Rückfall bedeutet doch immer, dass die Überlebenschancen sinken?

Schauer: Aus biologischer Sicht bedeutet das, dass sich die Zelle gegen die Therapie wehren kann. Und ja, das Ziel von Therapie ist, genau das zu verhindern.

STANDARD: Was raten Sie betroffenen Frauen?

Schauer: Wer mit der Diagnose Eierstockkrebs konfrontiert ist, sollte sich unbedingt an eine Spezialklinik wenden, in der nach den allerneuesten Standards operiert und behandelt wird. Von der Operation hängt der langfristige Behandlungserfolg maßgeblich ab. Und weil sich in diesem speziellen Bereich der Onkologie gerade wissenschaftlich viel tut, ist es wichtig, als gynäkologischer Onkologe immer auf dem letzten Stand zu sein. In Salzburg findet gerade das Jahrestreffen der Arbeitsgemeinschaft für gynäkologische Onkologie statt, an dem wir unser Wissen weitergeben. (Karin Pollack, 8.5.2019)