Hinterleitner: "Wir bekämpfen dieses Gesetz, da es nichts gegen Hass im Netz bringt."

Foto: www.corn.at Heribert CORN

Ein "türkis-blaues Wohlverhaltensgesetz" ortete Nikolaus Forgó, als die Bundesregierung ihr "Bundesgesetz über Sorgfalt und Verantwortung im Netz" vorstellte. Bis 23. Mai liegt dieser Gesetzesentwurf, der die Anonymität im Netz verbieten will, zur Begutachtung auf.

Wie sieht der STANDARD das Gesetz, welche Reaktionen sind möglich? Das fragten viele Posterinnen und Poster in den Foren. Gerlinde Hinterleitner, die derStandard.at gegründet hat und als Verlagsleiterin für "User Generated Content" verantwortlich ist, beantwortet Userfragen.

Wie steht der STANDARD zum Gesetzesentwurf?

Hinterleitner: Der Entwurf des "Bundesgesetzes über Sorgfalt und Verantwortung im Netz" geht vollkommen an seiner Zielsetzung vorbei. DER STANDARD hält ihn aus folgenden Gründen für nicht geeignet:

Beim Gesetzesentwurf handelt es sich im Kern um eine Vorratsdatenspeicherung für Userdaten. Der EuGH hat bereits klargestellt, dass die vorsorgliche Massenspeicherung von Daten gegen die Grundrechte auf Datenschutz, Privatsphäre und Meinungsfreiheit verstößt, wenn sie nicht verhältnismäßig ist und auf die Verfolgung oder Verhinderung schwerer Straftaten beschränkt wird. Dazu zählen Beleidigungen nicht.

Sehr viele Hasspostings werden unter Klarnamen geschrieben. Die Schwierigkeit ist sehr selten die Identifizierung des Hassposters, sondern das Kostenrisiko eines Prozesses, welches ein Vorgehen verhindert. Viel wichtiger wäre daher niederschwelliger, kostenloser Rechtsschutz. Und Betreiber müssten rasch löschen – das funktioniert in Österreich ganz gut, nicht aber bei internationalen Betreibern.

Die Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut. Meinungsäußerung darf keinen Beschränkungen im Vorhinein unterworfen werden. Auch indirekte Effekte, die Menschen von der Teilnahme an der Debatte abhalten können, sind verboten (sogenannter "chilling effect"). Auch die anonyme Meinungsäußerung ist ein Wert an sich und durch Gesetze wie etwa das Redaktionsgeheimnis geschützt.

Viele Menschen würden sich unter den neuen Bedingungen wohl nicht mehr an Foren beteiligen, oder sich zum Beispiel mit Kritik zurückhalten, wenn ihnen diese beruflich schaden könnte. Teilnehmer aus dem Ausland, Menschen ohne Handy, Whistleblower, von sensiblen Problemen Betroffene (zum Beispiel #MeToo) und viele andere werden ausgeschlossen.

Die Debatte verarmt und verliert an Tiefe und Inhalt, die Diskussion wird gleichgeschaltet. Es kann zu einer negativen Auslese der Poster kommen.

Zusätzlich entstehen umfangreiche neue Datenbanken. Diese können gehackt werden (das ist in Südkorea geschehen), aber auch mit zukünftigen Gesetzen für weitere Überwachungsschritte angezapft werden.

Die Registrierungspflichten sind mit enormen Kosten und dem Risiko hoher Strafen verbunden. Viele Foren werden daher wohl eingestellt werden. Übrig bleiben voraussichtlich kleine Plattformen, die aber keine breite Debatte ermöglichen, sowie die ganz großen Konzerne. Bei internationalen Anbietern ist die Durchsetzung wahrscheinlich nicht möglich – sie sind auch dadurch bevorzugt.

Welche Maßnahmen ergreift DER STANDARD?

Hinterleitner: Wir bekämpfen dieses Gesetz, da es nichts gegen Hass im Netz bringt. Es würde die freie Meinungsäußerung stark einschränken. DER STANDARD wird eine eigene Stellungnahme im Rahmen des erweiterten Begutachtungsverfahrens einbringen. Außerdem tauschen wir uns mit anderen Betroffenen und Expertinnen zum Thema aus und prüfen rechtliche Schritte.

Wie können Leser und Community aktiv werden?

Hinterleitner: Bis zum 23. Mai liegt dieser Gesetzesentwurf, der die Anonymität im Netz verbieten will, zur Begutachtung auf. Bürgerinnen und Bürger haben innerhalb dieser Begutachtungsfrist im Rahmen des erweiterten Begutachtungsverfahrens die Möglichkeit, Stellungnahmen und damit ihre Meinung zum geplanten Gesetz einzubringen. Zum Beispiel können sie dabei Ihre Bedenken zur Privatsphäre, Cyberkriminalität und Meinungsfreiheit äußern.

Außerdem freuen wir uns über möglichst viel Beteiligung am Aufsatzwettbewerb zur Registrierungspflicht im Netz bis 20. Mai. Die prämierten Texte über die grundrechtlichen Implikationen des Gesetzes werden im STANDARD veröffentlicht.

Was passiert, wenn das Gesetz gültig wird?

Hinterleitner: Wie wir dann konkret auf das Gesetz reagieren, wird von dem im Parlament beschlossenen Gesetzestext abhängen. Da uns die Community sehr wertvoll ist, sind wir bereit, etwaige Kosten (zum Beispiel potenzielle Mehraufwände) für die Regelung, wie immer sie schlussendlich ausschauen wird, im Sinne der Community und einer bestmöglichen Lösung zu tragen. (ugc, 9.5.2019)