Physiotherapeut Dennis Veit (rechts) unterstützt den querschnittsgelähmten Gregor Demblin beim Gehen mit dem Exoskelett.

Foto: Saturn Österreich

Das Exoskelett aus der Ferne.

Foto: Ekso Bionics

Das Exoskelett aus der Nähe.

Foto: Saturn Österreich

Mit 30 Jahren dachte ich, Gehen schon gelernt zu haben. In dem Moment, in dem Physiotherapeut Dennis Veit hinter mir steht und mein Gleichgewicht sichert, zweifle ich jedoch ernsthaft daran. Gesichert zu werden habe ich auch bitter nötig, dabei bewege ich mich noch gar nicht. Ich stehe und bin unsicher. Wer wird mich jetzt eigentlich bewegen? Das Exoskelett, ich oder beide? "Wenn Sie 'Piep' hören, kommt der erste Schritt", sagt Veit.

Dieser erste Schritt war für Gregor Demblin im Juli 2017 ein besonderer Moment. 22 Jahre musste der Wiener darauf warten. Der 42-Jährige ist seit einem Unfall auf der Maturareise querschnittsgelähmt. Er habe alle Mittel dagegen ausgeschöpft, sogar einen brasilianischen Wunderheiler besucht. Erfolglos.

Bis er ein Exoskelett sah. Das ist eine Art äußere Stützstruktur, ein batteriebetriebener bionischer Anzug. Technik und Biologie vereint. Eine Maschine, deren vier elektrische Motoren die Beine bewegen. An diesem Tag auch meine.

Wunderwerk Technik

Piep. Mein rechtes Bein fährt nach vorne. Ein komisches Gefühl. Ich komme mir so leichtfüßig vor wie der Droide C-3PO in "Star Wars". Im manuellen Modus löst Veit jeden Schritt einzeln per Knopfdruck aus, er bedient dafür ein kleines Kontrollkästchen am Rücken. Er gibt den Takt vor, passt ihn an den Rhythmus des Patienten an.

Ich soll mich nur aufs Becken konzentrieren, auf die Gewichtsverlagerung. Denn diese wird den Schritt später im automatischen Modus auslösen. Setze ich da meine linke Fußsohle unter einen gewissen Druck, schnellt prompt der rechte Fuß voran.

Das Kontrollkästchen hinten.
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Sensoren in Gelenken, Fußplatten und Rumpf messen 500-mal pro Sekunde meine Bewegung und Position im Raum. Ein Computer legt daraus den Bewegungsablauf des nächsten Schritts fest. Der Anzug wird dafür an Füßen, Oberschenkel und Brust festgeschnallt.

Das Anziehen dauert dementsprechend. Die Hüftbreite sowie die Ober- und Unterschenkellänge müssen für die richtige Größeneinstellung abgemessen werden. Die Halterung am Oberschenkel fühlt sich an wie ein Schraubstock. "Bei einem neurologischen Patienten sind die Oberschenkel aufgrund des Muskelschwunds schmäler, deswegen ist das normalerweise kein Problem", sagt Veit.

Strapazen

Demblin kann zwar die Beine nicht aktiv bewegen, aber den mechanischen Schritt durch Gewichtsverlagerung auslösen. Dafür muss er die Muskeln oberhalb seiner Lähmung am Halswirbel verwenden, etwa Schultergürtel und Arme. Den Schwung übernimmt dann das Exoskelett.

Trotzdem verlangt dieses Demblin alles ab. Er vergleicht die körperliche Anstrengung damit, als hätte er vor dem Unfall einen Berg erklommen. Psychisch, als müsste er einen schmalen Steg entlangbalancieren, mit einem steilen Abhang auf der Seite.

27 Kilogramm wiegt die komplette Montur. Das Gewicht eines Marschgepäcks beim Bundesheer. Querschnittsgelähmte leiden neben Muskelschwund auch an Knochenabbau. "Das ständige Sitzen ist Gift", sagt Demblin.

Physiotherapeut Veit kann einstellen, mit wie viel Prozent die Motoren den Patienten unterstützen sollen, also wie stark die eigene verbliebene Muskelkraft ergänzt oder ersetzt werden muss. Das ist von Fall zu Fall verschieden, mit der Zeit weniger nötig.

"Es fühlt sich einfach richtig an"

"Es fühlt sich einfach richtig an", schildert Demblin die Wirkung. "Die Organe rutschen an die richtige Stelle. Ich brauche keine Antibiotika mehr. Aber vor allem fühle ich mich psychisch fitter und kreativer." Der Blutkreislauf werde angekurbelt, auch die Blasen- und Darmfunktion verbessert.

Vorführung und Anprobe fanden in der Saturn-Filiale im Wiener Donauzentrum statt.
Saturn Österreich

50.000 Österreicher sind auf einen Rollstuhl angewiesen – aus den unterschiedlichsten Gründen: Schlaganfälle, multiple Sklerose oder eben Unfälle. Demblin und Veit gründeten daher 2018 in Wien das Therapiezentrum Tech-2-People, wo Patienten erstmals ambulant das Exoskelett tragen können. Derzeit stehen zwei für 100 Leute zur Verfügung. Ein Exemplar des US-Herstellers Ekso Bionics kostet 150.000 Euro.

Automatisch aufrecht

Man versteht den Preis der Ingenieurleistung, wenn man wie ferngesteuert ein paar Schritte geht. Zum 20. Mal sagt mir Veit, dass ich das Bein stehen lassen und einfach nur das Gewicht verlagern soll. Den Rest mache die Maschine. Es ist aber gar nicht so leicht, gelernte Automatismen abzuschalten.

Zum ersten Mal im Leben denke ich darüber nach, wie man eigentlich geht. Dazu die ständige Angst, nach vorn umzukippen. Das Exoskelett sorgt für eine anatomisch korrekte Körperhaltung.

Ich gehe spürbar aufrechter als sonst, Veit stets hinter mir im Schlepptau. Sein Fazit: "Sie waren anstrengender zu führen als Herr Demblin." Weil der querschnittsgelähmte Mann die Bewegungen der Maschine einfach mitmache, ein gesunder Mensch öfter gebremst werden müsse. Ausnahme: "Den linken Fuß verwenden Sie nicht so gerne", sagt der Physiotherapeut mit geschultem Blick.

Ziele

Es ist ein anderes Gehen, auch für Demblin, wenn er seine Gangart mit jener vor dem Unfall vergleicht. "Aber aufregender." Zwei- bis dreimal pro Woche nützt der 42-Jährige das Exoskelett für je eine Stunde. Er würde gern öfter. Die Kosten sprechen dagegen, der Körper würde sich schon daran gewöhnen, sagt er.

Demblin hofft auf den technischen Fortschritt. "In zehn Jahren wird das Exoskelett den Rollstuhl ersetzen, aber nicht die Heilung." Trainieren müsse er so oder so. Und irgendwann will er mit seinen vier Kindern einen Berg besteigen. (Andreas Gstaltmeyr, 22.6.2019)