Keine Willkommensgeste: Strache beim politischen Aschermittwoch in Ried.

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Was ist ein "Bevölkerungsaustausch"? Im Gastkommentar stellt Politikwissenschafter Rainer Bauböck dem "sozialen Prozess" das Konzept einer "Elitenverschwörung" gegenüber. Auch von Vizekanzler Heinz-Christian Strache erwartet er eine klare Begriffsdefinition.

Bevölkerungsaustausch findet statt. Und zwar immer und überall. Als am 17. März 2018 Anna Medwenitsch, die in Hof am Leithaberge geboren wurde, im Alter von 111 Jahren in Bruck an der Leitha starb, war die Bevölkerung, die 1907 im Gebiet der heutigen Republik Österreich lebte, vollständig ausgetauscht.

Unter "Bevölkerung" versteht man die in einem politischen Territorium lebenden Menschen. Diese werden durch Geburten und Sterbefälle, durch Abwanderung und Zuwanderung kontinuierlich "ausgetauscht". Bevölkerung ist nicht dasselbe wie das Staatsvolk, von dem laut Artikel 1 des Bundesverfassungsgesetzes das Recht der Republik Österreich ausgeht. Letzteres besteht aus den Staatsbürgern des Landes. Hier kommen zu Geburten und Sterbefällen die Regeln für den Erwerb und Verlust der Staatsbürgerschaft hinzu und bewirken im Laufe der Zeit einen "Austausch" des Staatsvolks.

Eine Fantasiekonstruktion

Wenn Vizekanzler Heinz-Christian Strache von "Bevölkerungsaustausch" spricht, scheint er jedoch etwas ganz anderes zu meinen: in Österreich geborene Menschen mit deutscher Muttersprache, christlicher Herkunft und weißer Hautfarbe, also ein typisch österreichisches Volk und nicht die in Österreich wohnhaften Menschen oder Staatsbürger.

Strache behauptet, der Bevölkerungsaustausch sei eine Realität. Im Gegensatz zur demografischen Realität der Bevölkerung und der rechtlichen Realität des Staatsvolks ist das von Strache gemeinte homogene Mehrheitsvolk aber eine Fantasiekonstruktion, die aus der finstersten aller historischen Mottenkisten stammt.

Das Tüpfelchen auf dem identitären "i" ist, dass die Umdeutung des Begriffs Bevölkerung in jenen der Volksgemeinschaft mit Verschwörungstheorien verknüpft wird, die "Austausch" nicht als allmählichen sozialen Prozess verstehen, sondern als einen von liberalen Eliten mittels Zuwanderungspolitik verfolgten Plan. Und damit diese Elitenverschwörung auch ein (jüdisches) Gesicht bekommt, das als Projektionsfläche für aufgestachelten Hass dient, wird George Soros als oberster Anstifter entlarvt.

Verharmlosende Debatte

Bundeskanzler Sebastian Kurz bekundet, dass ihm der Begriff des Bevölkerungsaustausches nicht gefällt. Bildungsminister Heinz Faßmann erklärt als Migrationsexperte in wohlgesetzten Worten, dass aus Zuwanderern in der Vergangenheit immer Österreicher geworden sind und dass dies auch bei den heutigen Einwanderern und Schutzsuchenden zu erwarten sei. Er hätte hinzufügen können, dass die in Deutschland Geborenen (er selbst eingeschlossen) die größte Herkunftsgruppe unter der zugewanderten Bevölkerung in Österreich stellen und damit am meisten zum "Austausch" durch Migration beitragen.

Solche vorsichtigen Distanzierungen tragen aber auch zur Verharmlosung bei. Wie die Sprachwissenschafterin Ruth Wodak betont, müssen politische Schlagworte wie "Bevölkerungsaustausch" im Kontext gelesen werden. Wer dies tut, kommt rasch zu dem Schluss, dass dieser Begriff nichts anderes ist als ein Deckwort für die Nazi-Ideologie der "Umvolkung". Ich fordere den Vizekanzler auf, den Unterschied zwischen diesen Begriffen zu erklären. Kann er dies nicht, wäre es dann nicht an der Zeit, ihn zu ersuchen, sein Rücktrittsgesuch einzureichen, Herr Bundeskanzler? (Rainer Bauböck, 7.5.2019)