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Bergsteiger und Skyrunner Christian Stangl beeindruckte mit seiner Leistungsfähigkeit in großen Höhen bei wenig Sauerstoff. Der K2 lehrte ihn das Fürchten und verleitete ihn zu einer folgenschweren Lüge.

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Stangl hat als Erster und bislang Einziger die Triple Seven Summits, die drei höchsten Berge aller sieben Kontinente, bestiegen.

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Fernseh-Übertragungswagen brachten sich in Stellung, Reporter schwirrten um sein Haus. Nachbarn wurden befragt, wie er denn so sei? "Ich war voll im Verbrechereck. Mir ist es ein Dreivierteljahr wirklich dreckig gegangen", schildert der ehemalige Skyrunner Christian Stangl jene Zeit, als er als Betrüger entlarvt wurde. Der Steirer hatte den berüchtigten K2, den mit 8.611 Metern zweithöchsten Berg der Welt, 2010 nicht bestiegen, sondern wie Kritiker süffisant bemerkten, die erfolgreiche Besteigung lediglich "visualisiert". Das vermeintliche Gipfelfoto stellte sich als Fälschung heraus, die weit unterhalb zustande kam. Nicht nur die Alpinistenszene war empört. "Es wurden Briefe an meine damalige Partnerin geschickt, was ich nicht für ein schlechter Mensch wäre. Unbeschreiblich, wie tief der Mensch sinken kann, wenn er in der Anonymität etwas macht."

Es begann gewissermaßen in Libyen, als der gelernte Elektrotechniker seine Passion entdeckte. Der leidenschaftliche Sportler und Bergsteiger verdiente als Leiter eines technischen Büros in Nordafrika "einen Haufen Kohle", sah jedoch, wie sein "ganzes Leben irgendwie vorbeizog". So beschloss er 2002 als 35-Jähriger, eine Auszeit zu nehmen und sich intensiv den Bergen zu widmen. "Ich war ein Jahr lang nur Bergsteigen und bin durch die Welt gereist." Dann ist es passiert. Er bewältigte den Lauf auf den Aconcagua, mit 6.961 Metern höchster Berg des amerikanischen Doppelkontinents, in der Rekordzeit von 4:25 Stunden und stellte erstaunt fest, wie "super das geht".

Christian Stangl

Seine berufliche Tätigkeit war nach 15 Jahren endgültig abgehakt, Ausrüster Mammut sollte ihn die nächsten 13 Jahre als Sponsor unterstützen, denn erst waren die höchsten Berge aller sieben Kontinente, dann die Seven Second Summits und schließlich die Triple Seven Summits sein Ziel. Klingt nicht so spektakulär wie alle 14 Achttausender, aber Stangl wollte eben seinen eigenen Weg gehen. "Alle Achttausender sind Messners Geschichte. Ich wollte nie etwas kopieren, sondern mein individuelles Meisterstück machen." Ihn habe das Reisen durch die Welt und in verschiedenen Gebirgen unterwegs zu sein fasziniert. Die jeweils drei höchsten Berge aller sieben Kontinente seien sein Lebensprojekt gewesen. "Mir war es unendlich wichtig, das fertigzustellen." 2013 ist ihm das Vorhaben als Erstem und bislang Einzigem gelungen, der K2 war dabei nicht sein einziges Problem.

Tragödie

Auf dem "König der Berge" haben sich Tragödien abgespielt, die auch Stangl schwer forderten. "Als ich den K2 2008 besteigen wollte, sind elf Bergsteiger tödlich verunglückt. Wäre das im Rahmen eines Einzelprojekts passiert, wäre ich nie wieder dorthin zurückgekehrt." 2009, als auch Gerlinde Kaltenbrunner mit dabei war, sei ihm auf rund 8.300 Metern Höhe bewusst geworden, welche Angst ihm dieser Berg einjage. "Da kann man nur mehr hoffen, dass man noch einmal davonkommt." Der Druck, den er sich selbst auferlegte, sein Projekt abzuschließen, und die Tatsache, dass der K2 nicht jener Genussberg sei, an dem man gerne herumkraxelt, haben ihn schließlich dazu bewogen, die Besteigung vorzugaukeln. "Weil es einfach zu gefährlich ist. Ich wollte das Ding einfach nur fertig haben, es war für mich damals abgeschlossen."

Stangls Reise auf den Kangchendzönga.
Mammut Community Channel

Doch nach der wohl folgenschwersten Lüge seines Lebens gab es kein Zurück. "Es ging darum, die große Schmach auszubessern. Ich musste es wieder probieren, so oft, bis ich es schaffte." 2011 startete er nach erfolgreicher Besteigung des ähnlich gefährlichen Kangchendzönga (8.586 Meter) wieder einen Versuch. Den dritthöchsten Berg der Welt hatte er vom Golf von Bengalen aus in Angriff genommen. Zunächst ging's mit einem Waffenrad quer durch Indien und Nepal, nach 74 Tagen stand er am Gipfel. Dann ist er wieder am K2 gescheitert, obwohl er wusste, dass er körperlich allemal dazu in der Lage war. "Ich war danach Monate lang depressiv. Ich wusste, ich hatte ein mentales Problem."

360-Grad-Rundumblick: Stangl am K2.
Christian Stangl

Im fünften Anlauf erreichte Stangl 2012 erwiesenermaßen den Gipfel des gefürchteten Riesen. "Es hat klaglos funktioniert, natürlich ohne Flaschensauerstoff, ich bin ohne Erfrierungen und Verletzungen davongekommen." Er hat danach das Buch "Gib niemals auf!" geschrieben und das Kapitel über den K2 als "die große Prüfung" bezeichnet. Als Reinhold Messner später sagte, dass Stangl nicht einmal eine Fußnote in der alpinen Geschichte sei, kränkte er ihn nicht, ganz im Gegenteil, es sei "das schönste Kompliment überhaupt gewesen, weil er über mich nachgedacht hat".

Sportmedizinische Untersuchungen attestierten Stangl gute, aber nicht außergewöhnliche Werte, sehr wohl aber ergaben Tests in der Hypoxiekammer, dass seine Leistungsfähigkeit bei wenig Sauerstoff im Vergleich zu anderen sehr hoch ist. Allein das Talent genüge allerdings bei weitem nicht. Stangl musste auch über Jahre trainieren "wie ein Berserker". Und periodisieren, das ganze Leben darauf ausrichten, um am Tag X topfit zu sein. "Damit man die Leistung abrufen kann, wenn es um die Wurst geht. Da muss man dann alles rauslassen, was in einem steckt."

Forderndes Training.
Christian Stangl

Mit seinen extremen Läufen, oftmals ohne entsprechende Akklimatisation, hat er auch die Erkenntnisse der Höhenmedizin über den Haufen geworfen. "Ich habe gesehen, dass man Dinge machen kann, die höhenphysiologisch als unmöglich gegolten haben." Ihn habe es motiviert, zu sehen, dass die Grenzen der Leistungsfähigkeit nicht dort erschöpft sind, wo es die Literatur vorgibt. Ein Schlüssel für seine Erfolge sei auch gewesen, dass er schnell – quasi innert der Inkubationszeit – wieder in sicheren Sphären gewesen sei, bevor die Höhenkrankheit zuschlagen konnte. "Ich habe einmal zehn Sechstausender in sieben Tagen in den Anden gemacht, man glaubt gar nicht, was möglich ist. Es geht immer weiter!"

Lawine

Seine Karriere hätte allerdings auch schon früh beendet sein können. Mit 24 wurde er im Karakorum gemeinsam mit Rainer Wolfgang Göschl, dem Bruder des 2012 am Hidden Peak tödlich verunglückten Gerfried, auf einem vermeintlich sicheren Lagerplatz im Schlaf von einer mächtigen Lawine überrascht. "Er war mein Lebensretter, ich war verschüttet, hatte einen Oberschenkelbruch." Es hat einige Tage gedauert, bis er medizinisch versorgt werden konnte. Nach der Rückholung lag er mit einem Lungeninfarkt in Graz im Koma. "Ich bin nicht nur damals, sondern sehr oft davongekommen. Im Fall von Lama und Auer wurde mir wieder einmal bewusst, dass andere das Quäntchen Glück nicht haben. Wäre ich statt am Oberschenkel am Kopf erwischt worden, wäre es aus gewesen."

Schnell hohe Berge rauf.
Christian Stangl

Für sein Lebensprojekt musste Stangl 29 statt 21 Berge besteigen, weil teilweise nicht klar war, welche nun tatsächlich die zweit- und dritthöchsten Berge eines Kontinents sind. "Es gab sehr divergierende Angaben." Ausgestattet mit einem Messgerät der Uni Graz, musste er Berge in Ozeanien und Afrika nachvermessen, um Gewissheit zu erlangen. Für den Techniker ein interessanter Auftrag. "Ich habe tunlichst darauf geschaut, dass jeder Gipfel mittels Fotos und GPS-Daten nachvollziehbar ist.

War Stangl 2006 noch in 16:42 Stunden über den Nordgrad auf den Everest (8848 Meter) gelaufen und hatte er sieben Jahre nichts anderes gemacht, als durch die Welt zu tingeln, so geht es der 52-jährige Steirer heute beschaulicher an, lebt als Bergführer in Admont im Gesäuse. Gelegentlich hält er Vorträge für Firmen. Kernthema: Bleibt realistisch, und geht davon aus, dass ihr bei Langzeitprojekten Schwierigkeiten haben werdet. Als Bergführer "zaht" er Leute nur gelegentlich auf Gipfel, der Fokus liegt auf Ausbildung. Im Winter bietet er Skitourenkurse mit Schwerpunkt Lawinenprävention an, im Sommer geht's um Felsklettern, Seiltechnik und Klettersteige. "Der Kunde hat sich gewandelt, er will um sein Geld eine gute Ausbildung haben." Und die gibt Stangl "im Sinne der Ökonomie fast ausschließlich im Großraum Admont".

Sicherheit

Stangl ist nicht zuletzt auch wegen seiner knapp sechsjährigen Tochter nicht mehr bereit für extreme Sachen. "Ich lasse es jetzt, wenn man nur eine 50:50-Chance hat, Erfolg zu haben oder zu sterben." Den großen Stress, den hohen Adrenalinlevel brauche er nicht mehr. Beim Bergführen gehe es um Sicherheit, und am Abend sei man wieder daheim. Ausnahme: "Ich war im März in den Anden, habe wieder einmal eine kleine – nicht ganz so gefährliche – Erstbegehung auf einen Sechstausender gemacht." Er war einen Monat lang weg, 14 Tage solo am Berg unterwegs. "Ich wollte wieder einmal allein in der Natur unterwegs sein." (Thomas Hirner, 23.7.2019)