Die Räume für sein Theater entwirft Ersan Mondtag oft selbst.

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Ersan Mondtag (31) eckt oft an.

Foto: Tibor Bozi

Wenn die Bühne aussieht, als hätten sich Francisco de Goya und Roy Lichtenstein zusammen ein Computerspiel ausgedacht, Schauspieler wie Avatare übers Szenario huschen und eine Thrillerstimmung herrscht wie bei Alfred Hitchcock oder David Lynch, dann sitzt man in einem Theaterabend von Ersan Mondtag.

Dabei spielt es auch erst einmal keine Rolle, ob der junge Regisseur einen Klassiker inszeniert oder ein Gegenwartsstück wie jetzt bei den Wiener Festwochen Sibylle Bergs Hass-Triptychon, in dem mit gebotenem Sarkasmus jenes Negativgefühl seziert werden soll, das sich zurzeit offenbar durch alle Gesellschaftsschichten zieht.

Tatsächlich liegt Mondtag, der die Räume für seine Inszenierungen häufig selbst entwirft, nichts ferner als jene Art von Theater, in dem "die Leute auf der Bühne so aussehen wie ich".

Aus anderen Verhältnissen

In diametralem Gegensatz zur Alltagsästhetik wimmelt es bei ihm vor Kunstgeschichtszitaten, überdimensionalen Statuen und spektakulär kostümierten Zeitgenossen, die sich zum Beispiel im Windschatten von Rubens’ Höllensturz der Verdammten aus düsteren Hades-Schlünden schälen: Inspirationsquellen, die der Regisseur sich als Teenager in leidenschaftlichen Selbststudien angeeignet hat.

"Ich komme aus ganz anderen Verhältnissen", erklärt Mondtag, der eigentlich Ersan Aygün heißt und für den Künstler- seinen Nachnamen wörtlich aus dem Türkischen übersetzt hat. Er beschreibt sich als Kind einer "typischen Gastarbeiterfamilie" aus Berlin-Kreuzberg: "Meine Mutter ist Putzfrau, mein Vater betreibt ein Café. Wir haben zu fünft in einer Sechzig-Quadratmeter-Wohnung gelebt, bis ich zwanzig war", erzählt er. "Ich hatte immer den Impuls, da auszubrechen."

Erlebte viel Unterstützung

Was möglicherweise ein Grund dafür ist, dass das Theater Ersan Mondtag schon seit der Grundschule begleitet: Er kann stundenlang von Theater-AGs und engagierten Lehrern schwärmen, die ihn nicht nur dabei unterstützten, von der Hauptschule aufs Gymnasium zu kommen, sondern auch früh mit Branchenlektüre à la Peter Brook vertraut machten.

Als Mondtag dann mit siebzehn für ein Jahr als Austauschschüler nach Washington ging und bei einer Gastfamilie aus dem Medizinerinnen- und Politikermilieu landete, fühlte er sich sofort herausgefordert. Er begann, exzessiv klassische Musik zu hören und Museen zu besuchen, "um diese Leute und diesen kulturellen Raum zu verstehen".

Logisch, dass er später als Regisseur mit seinem Formbewusstsein sofort herausstach: Spätestens seit Ersan Mondtag vor drei Jahren – da war er noch keine dreißig – erstmals zum Berliner Theatertreffen eingeladen wurde, reißen sich die A-Klasse-Häuser um ihn.

Hoher Unterhaltungswert

Dass der Regisseur dabei auch jenseits der Bühne über einen hohen Unterhaltungswert verfügt, der für manche gar ein gewisses Aufregerpotenzial birgt, gehört zu seinem Image als Shootingstar unbedingt dazu.

Er sei überzeugt, dass Kunst nur "aus einer krassen Energie" entstehen könne, sagt Mondtag – wobei er genau weiß, wovon er spricht: Bevor er selbst zu inszenieren begann, assistierte er mit 120-prozentiger Leidenschaft bei allen berüchtigten Theater-Alt- wie Neumeistern, die Berlin zu bieten hat: von Peymann über Castorf bis zum norwegischen Gesamtkunstwerksberserker Vegard Vinge.

"Ich bin nicht dazu da, die Theaterkollegen zu befriedigen, damit sie ein bürgerliches Leben führen können": Dass er mit solchen Äußerungen aneckt und sich bei einem Teil des Betriebs "total unbeliebt" macht, stört Ersan Mondtag nicht. Und mal ganz davon abgesehen, wie man inhaltlich dazu steht: Dass hier einer den Betrieb aufmischt, der auch mal Probleme und Defizite anspricht, die eigenen wohlweislich eingeschlossen, ist erst einmal ziemlich sympathisch. (Christine Wahl, 22.5.2019)