Auch bei der Entwicklung von "Red Dead Redemption 2" soll es zu massiven Überstunden gekommen sein.

Foto: Rockstar Games

Ich kaufe keine Eier von Hühnern aus Käfighaltung, bemühe mich, Fleisch von Tieren zu essen, die artgerecht gehalten wurden, trinke fair gehandelten Kaffee und kaufe keine Kleidung, die aus Betrieben mit Kinderarbeit kommen. Kurzum: Ich versuche mit meinen Konsumentscheidungen jene Hersteller zu unterstützen, die nicht ausschließlich auf den höchsten Gewinn, sondern auch auf die nachhaltige und akzeptable Nutzung ihrer Ressourcen und Mitarbeiter achten.

In den letzten Jahren hat sich zunehmend gesellschaftlicher Konsens entwickelt, dass "ethischer" Konsum allen etwas bringt – und dank einer Vielzahl von Gütesiegeln, Kennzeichnungen und Kontrollen kann ich im Supermarkt bewusst entscheiden, ob ich mit meinem Kauf Hersteller unterstützen will, die die Umwelt, Tiere und natürlich auch Menschen auf problematische Weise ausbeuten.

Bei Videospielen gibt es ein ähnliches Problem in großen Teilen der Industrie – nur ist eine Lösung noch lang nicht in Sicht. In den letzten Jahren verschärfen und häufen sich die Meldungen über katastrophale Arbeitsbedingungen in einer Branche, die zur größten Unterhaltungsindustrie des Planeten geworden ist. Endlose Überstunden, zermürbender Zeitdruck, psychologische Belastungen, unsichere Arbeitsbedingungen, Studio-Auflösungen trotz erfolgreicher Titel, toxische Arbeitsumgebungen und eine Managementkultur, die diese Art von ungesunder Arbeitskultur als Normalität und Notwendigkeit behauptet: Eigentlich kann man angesichts solcher, mit schockierender Regelmäßigkeit an die Öffentlichkeit geratender Zustände niemandem dazu raten, einen Job in der Videospielbranche anzunehmen.

Blut, Schweiß und Tränen

Zuletzt war der Entwickler von Mortal Kombat 11 in den Schlagzeilen: 100-Stunden-Wochen, Sexismus und durchwegs katastrophale Arbeitsbedingungen seien bei dem amerikanischen Studio die Norm gewesen, berichten Insider. Ähnliche Meldungen gab es in den vergangenen Monaten und Jahren von einer erschütternden Anzahl anderer Entwickler aus der Hochglanzbranche: Von Rockstar Games (GTA, Red Dead Redemption) über CD Projekt (The Witcher) bis hin zu Epic Games (Fortnite) und Bioware (Anthem) – kaum ein Megablockbuster der letzten Jahre, der keine Mitarbeiter im Burnout, zerstörte Familien und demoralisierte Entwickler hinterlassen hätte. Wie wenig die Studios dieses Problem erkennen, zeigte erst unlängst eine Aussage des Ex-Starbreeze-CEOs Bo Andersson: Die Mitarbeiter des schwedischen Studios hätten mit ihrer Weigerung, sich den "nötigen" 100-Stunden-Crunch-Wochen hinzugeben, den Untergang des Studios herbeigeführt.

Diese Einstellung ist Gift – doch sie ist schwer auszurotten. Vor drei Jahren sorgte DirectX-Miterfinder Alex St. John mit seiner Romantisierung der menschenfeindlichen Arbeitsbedingungen in der Videospielbranche für Kopfschütteln, und die Netflix-Doku Playing Hard zeigt, dass schon der "Normalzustand" in Studios, die nicht einmal unter besonders skandalösen Bedingungen arbeiten, mit normalem Familien- oder Privatleben kaum vereinbar ist.

Bezeichnend ein Foto, das den kanadischen Entwickler Osama Dorias zeigt: Seinen neugeborenen Sohn auf der Schulter, arbeitet der gestresst aussehende Programmierer konzentriert am PC. 100-Stunden-Wochen, drei Monate durchgängig, am Schluss ein Schulterklopfen – und keine Überstundenbezahlung. Da ist ein Nervenzusammenbruch kein Wunder.

Auch kein Wunder, dass diese Arbeitsbedingungen massenweise Mitarbeiter ins Burnout und aus der Industrie treiben, und das nicht nur bei Programmierern: Auch Schauspieler, die für die Vertonung zuständig sind, werden von der milliardenschweren Industrie gnadenlos verheizt, schlecht bezahlt und gesundheitlich ruiniert.

Der Traumjob in der Games-Industrie, von zahllosen hoffnungsfrohen jungen Menschen als Ziel gesehen, endet so nicht selten in Enttäuschung – und physischen und psychischen Wunden, die unter Umständen ein Leben lang nachwirken.

Aber: Muss das so sein? Und was könnten wir Konsumenten dagegen tun?

Bewusstsein schaffen

Natürlich ist diese Unkultur nicht nötig, sagen Spieleentwickler, die ohne Crunch auskommen – und auch Spieler sind zunehmend für das Problem sensibilisiert. Die Bestrebungen, im größten Markt USA endlich eine Gewerkschaft für Games-Entwickler zu etablieren, nehmen langsam, aber sicher Fahrt auf, doch vielleicht sollten auch wir Konsumentinnen und Konsumenten uns etwas überlegen, um sicherzustellen, dass jene Menschen, die uns endlose Stunden der Entspannung und Unterhaltung schenken, nicht im Namen noch größerer Profite und antiquierter Arbeitsideale verheizt und aus der Branche vertrieben werden.

Natürlich möchten wir alle nicht auf unsere Lieblingsspiele verzichten, doch ich zumindest finde, dass jene Menschen, die sie erschaffen, das Recht auf einen Arbeitsplatz haben sollten, der sie nicht körperlich und psychisch in den Abgrund treibt. Ich bemühe mich, Spiele nicht zu kaufen, von denen ich weiß, dass sie nur mit Blut, Schweiß und Tränen ihrer unterbezahlten, überarbeiteten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu realisieren waren – und das in den meisten Fällen nur deshalb, damit die Rekordgewinnsummen für CEOs und Shareholder noch ein wenig größer ausfallen.

Gütesiegel "Games aus Freilandhaltung"

Was jedoch noch besser wäre, statt zu verzichten: jene Spielehersteller und Publisher zu unterstützen und zu bestärken, die ihre Mitarbeiter besser behandeln. Deshalb, liebe Publisher, Studios und Unterhaltungsmogule: Zeigt uns, dass ihr eure Mitarbeiter nicht wie Käfighennen haltet! Was es dazu braucht, wäre eine Kennzeichnung, die uns Konsumenten sagt, bei welchen Spielen keine Crunch-Todesmärsche, keine Erschöpfungszusammenbrüche und keine zerstörten Familien als Kollateralschaden zu ihrer Fertigstellung "nötig" waren.

Kurz: Wir brauchen ein Gütesiegel, das uns zeigt, bei wem die Entwickler "artgerecht" und nicht "in Käfighaltung" kreativ sein durften, welche Games "aus Freilandhaltung" entstanden sind und welche nicht. "Spiele von glücklichen Entwickler*innen" – wenn Ubisoft, EA oder Activision sich vornehmen würden, stolz auf die nachhaltige Behandlung ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hinzuweisen, würde der Druck auf die Konkurrenz erhöht, ebenso sorgsam mit ihrer wertvollsten Ressource umzugehen.

Es liegt an uns, der Industrie zu sagen, dass das auch für uns, als Spieler und Publikum, eine relevante Information ist. Spiele sind ein spannendes Medium und ein heißgeliebtes Hobby für Millionen; die Menschen, die sie für uns Wirklichkeit werden lassen, haben unsere Solidarität verdient.

Und letztlich haben wir alle etwas davon: Das Osterei vom glücklichen Huhn schmeckt schließlich auch besser. (Rainer Sigl, 11.5.2019)