Saifal Mulook ist Asia Bibis Anwalt.

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Fast ein halbes Jahr ist es her, dass die 48-jährige Asia Bibi von Pakistans Oberstem Gericht freigesprochen wurde. Der Christin war Blasphemie vorgeworfen worden – ein Vergehen, auf das in dem muslimischen Land die Todesstrafe steht. Bereits 2009 soll sie sich im Zuge eines Dorfstreits abfällig über den Islam geäußert haben. Sie wurde verhaftet und ein Jahr später zum Tod verurteilt. Der Fall entwickelte sich zur nationalen Krise. Während sich liberale Aktivisten für ihre Freilassung einsetzten, forderten radikale Islamisten wiederholt in lauten Demonstrationen ihren Tod – zuletzt auch nach dem Freispruch. Laut ihrem Anwalt Saifal Mulook ist Asia Bibi mit ihrer Familie nun in Kanada angekommen.

STANDARD: Sie sagen, Asia Bibi hat Pakistan verlassen. Gibt es Details dazu?

Mulook: Alles, was ich sagen kann, ist, dass sie in Kanada gelandet ist. Offizielle Bestätigungen von den Regierungen dafür gibt es aus Sicherheitsgründen nicht. Denn muslimische Fundamentalisten gibt es auch in Kanada. Sie sind überall.

STANDARD: Gibt es nach Asia Bibis Ausreise wieder die Gefahr gewalttätiger Demonstrationen von radikalen Muslimen in Pakistan?

Mulook: Momentan ist die Gefahr geringer, weil die meisten Anführer hinter Gitter gebracht wurden. Die Armee hat hier sehr hart durchgegriffen seit den vergangenen Protesten, nachdem Asia freigesprochen wurde.

STANDARD: Der Freispruch ist fast ein halbes Jahr her. Warum hat es so lange gedauert, bis sie Pakistan verlassen konnte?

Mulook: Weil die Vereinbarungen zwischen den Regierungen so lange gedauert haben.

STANDARD: Haben Sie Asia Bibi getroffen?

Mulook: Nicht seitdem sie aus der Haft entlassen wurde. Danach stand sie unter dem Schutz der Regierung. Da konnte sie nur Diplomaten treffen.

STANDARD: Was ist mit Ihrer Familie?

Mulook: Die ist bereits seit Dezember in Kanada. Sie sind alle zusammen, die zwei Töchter und auch ihr Mann.

STANDARD: Ist sie in Kanada nun sicher?

Mulook: Ich bete für sie. Am besten sollte sie in einem kleinen Vorort wohnen, ohne viel Aufsehen. Die Medien wollen darüber berichten, die Regierungen wollen ein Geheimnis daraus machen. Beide machen eben ihre Arbeit.

STANDARD: Im November sind Sie in die Niederlande geflohen. Sind Sie noch dort?

Mulook: Nein, ich bin zurück in Pakistan. Ob ich hier sicher bin, weiß ich nicht. Aber ich habe viel Arbeit hier. Meine Sicherheit ist nicht so wichtig wie die Blasphemie-Fälle, von denen es so viele gibt. Es gibt eine zweite Christin, die wegen Blasphemie zum Tod verurteilt wurde. Asia war die erste, die zweite ist Shagufta Kausar.

STANDARD: Was ist ihr passiert?

Mulook: Sie wurde 2013 in der Stadt Gojra im Bezirk Toba Tek Singh verhaftet. Ein Mann hatte, als er gerade betete, einige SMS auf seinem Telefon erhalten, von einer ihm nicht bekannten Nummer. Die Nachrichten haben den muslimischen Propheten Mohammed beleidigt. Nach zwei Tagen ging er zu einem Anwalt, um sich beraten zu lassen. Der Anwalt hat von seinem Telefon aus die Nummer angerufen, von der die Nachrichten gekommen waren. Es klingelte, aber niemand hat abgehoben. Nach weiteren Nachforschungen fand er heraus, dass das Telefon auf Shagufta und ihren Ehemann gemeldet war. Beide wurden schließlich verhaftet. Der Ehemann hat vor Gericht ein Geständnis abgelegt: dass er die Nachrichten geschickt hatte, dass er die SIM-Karte gekauft hatte und sie auf den Namen seiner Frau angemeldet habe. Dass seine Frau nichts damit zu tun habe. Aber der Richter hat beide 2014 zum Tod verurteilt. Jetzt gehen wir vor dem Gericht in Lahore in Berufung.

STANDARD: Erzeugt der Fall ähnliche Entrüstung in Pakistan?

Mulook: Nein. Er ist viel weniger bekannt als jener Asia Bibis, auch international.

STANDARD: Warum wurde Asia Bibis Fall so bekannt?

Mulook: Es war vor allem die Ermordung des Gouverneurs Salman Taseer, der Asia zur Unterstützung ja auch hier im Gefängnis besucht hatte, die viel Aufmerksamkeit für den Fall brachte.

STANDARD: Sind Politiker und Aktivisten nach Asia Bibis Fall vorsichtiger und zögerlicher dabei, in Blasphemie-Fällen zu helfen?

Mulook: Ja, ich denke schon. Einige Leute haben sich mutig verhalten, wie zum Beispiel Premierminister Imran Khan. Wann auch immer nötig, hat er geholfen, auch bei ihrer Ausreise. Aber generell haben Politiker nun Angst, nachdem sie gesehen haben, dass so viele, die mit den Fällen in Berührung kommen, getötet werden.

STANDARD: Könnte Pakistan in Zukunft die strengen Blasphemie-Gesetze abschaffen?

Mulook: Das glaube ich nicht. Niemand traut sich, das zu fordern. Das wäre sehr, sehr gefährlich. (Anna Sawerthal, 9.5.2019)