Über das Onlineportal sollen "Wahrnehmungen" nach Terrorakten übermittelt werden.

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Am Montag erschütterte ein Terroranschlag mit islamistischem Hintergrund Österreichs Bundeshauptstadt Wien. In der Innenstadt fielen Schüsse, die mehrere Todesopfer gefordert haben. Ein Angreifer wurde von der Polizei erschossen, es soll aber einen weiteren Täter geben, der bislang nicht gefasst wurde.

Die Abendstunden waren auch geprägt von Krisenkommunikation von Behörden und Politik. Die Polizei rief etwa dringlich auf, keine Bilder und Videos von den Tatorten öffentlich zu teilen, nachdem mehrere Clips über soziale Medien kursiert und auch von manchen Medien publiziert worden waren. Stattdessen verwies man auf ein Uploadtool des Innenministeriums, um mediale Dokumentationen einzureichen.

Die Eingabemaske des Uploadtools.
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Die Plattform beging am Montag ihre "Premiere", ist aber schon länger in Vorbereitung. Das geht aus der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der Neos (PDF) hervor, die Anfang Mai 2019 von der damaligen türkis-blauen Regierung übermittelt wurde.

Die Plattform, so hieß es auf Anfrage des STANDARD seitens des Ministeriums, lief da bereits als Pilotprojekt. Eine Aktivierung wäre "nach einem vorausgegangenen Anlassfall" bereits möglich gewesen.

20.000 Videos

Bürger sollen über diese Plattform "Wahrnehmungen" zum Fall übermitteln, etwa Fotos und Videos. Man erhofft sich damit, "eine weitere Gefährdung durch den oder die Täter zu verhindern" und die Aufklärung zu beschleunigen. Einreichungen sind sowohl unter Angabe der eigenen Identität als auch anonym möglich.

Zum Terroranschlag in Wien gingen laut Aussage von Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) in der "Zeit im Bild" bisher rund 20.000 Videos ein, das Gesamtvolumen bezifferte er mit einem Terabyte. Unter den übermittelten Inhalten befinden sich jedoch zahlreiche Doppelungen.

Die Einrichtung ist jeweils temporär für jeden einzelnen Anlassfall vorgesehen. Die Erstsichtung soll laut damaliger Erklärung durch ein mit dem jeweiligen Fall betrautes Team vorgenommen werden, das die eingereichten Daten auch auf Schadsoftware untersucht. Anschließend sollen die Inhalte aus der Cloud auf einen internen Beweismittelserver des Ministeriums wandern. Dabei soll auch laufend dokumentiert werden, wer wann auf die Daten zugreift. Die Daten werden sowohl bei der Eingabe als auch am Speicherort verschlüsselt.

Keine Angabe zu Kosten

Keine genauere Auskunft wollte man über die Speicherung der Einreichungen geben. Hierzu verwies man auf "bestehende gesetzliche Bestimmungen" beziehungsweise im Falle ermittlungsrelevanter Inhalte auf die Strafprozessordnung. Daten, die "offensichtlich" nichts zur Ermittlung beitragen, sollen jedenfalls noch auf dem Cloudserver gelöscht werden.

Als Vorbild dient das Vorgehen der US-Behörden nach dem Anschlag auf den Boston-Marathon im Jahr 2013. Zu den Kosten gibt man sich schweigsam. Man könne diese "nicht extra ausweisen", da die Plattform Teil einer "größeren und zum Teil bereits vorhandenen Infrastruktur" sei.

Breite Veröffentlichung von Aufnahmen problematisch

Von einer zeitnahen Veröffentlichung von Tatortaufnahmen raten die Polizei, aber auch andere Experten generell ab. Diese können einen laufenden Einsatz gefährden, da auch Täter die Videos abrufen und darüber etwa Informationen zum Standort von Beamten gewinnen können. Zudem wird potenziell das Persönlichkeitsrecht von Opfern verletzt, Terroristen eine Bühne geboten und damit eines ihrer erklärten Ziele – öffentliche Aufmerksamkeit – erfüllt.

Laut Forschern kann das Veröffentlichen solcher Aufnahmen, so wie manche Formen der Berichterstattung, außerdem das Risiko von Nachahmungstaten erhöhen. (gpi, 3.11.2020)