"Flight" des polnischen Künstlers Roman Stanczak.

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"Can't help myself": Kunstroboter der chinesischen Künstler Sun Yuan und Peng Yu.

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Die Installation Henry Tailors im Pavillon von Ghana.

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Vor lauter Nebel ist der Eingang nicht mehr zu sehen: Eine Dunstwolke verhüllt das Portal des Hauptpavillons auf der Biennale in Venedig, bei der wieder einmal vieles nebulös bleibt. "May you live in interesting times" lautet das wenig aussagekräftige Motto, das der US-Kurator und Direktor der Londoner Hayward Gallery, Ralph Rugoff, der aktuellen Ausgabe gibt. Bei dem Spruch handelt es sich um keinen Segen, sondern um einen alten chinesischen Fluch, denn "interessant" sind vor allem turbulente Zeiten.

Der globalen Verunsicherung tragen die 79 von Rugoff ausgewählten Positionen zweifellos Rechnung. Ihre Arbeiten thematisieren die dunklen Seiten von Digitalisierung und Biotechnologie ebenso wie gegenwärtige Ausformungen von Rassismus, Krieg und Gewalt. "Interessanterweise" deprimiert der Rundgang trotzdem nicht, ganz im Gegenteil. Die hohe formale Qualität der Arbeiten macht auf kritische Inhalte neugierig.

Sperrholzwände

Zum ersten Mal sind alle eingeladenen Künstlerinnen und Künstler im Arsenale und auch im zentralen Pavillon vertreten. Es empfiehlt sich, den Rundgang in den ehemaligen Werfthallen des Arsenale zu beginnen. Dort gibt die gelungene Ausstellungsarchitektur mit vier Meter hohen Sperrholzwänden den Kunstwerken genug Platz, während im Haupthaus der Giardini vieles zusammengepfercht wirkt. So wenig Kunstmarkt wie möglich: Mit diesem Anspruch trat die Kasseler Documenta 2017 an, konnte mit ihrem Antikommerz-Credo aber nicht punkten.

In Venedig schwingt das Pendel jetzt zurück. Dort können sich die Galeristen ob der starken Auftritte ihrer Künstler die Hände reiben. Es fällt auf, dass die Marktkaiser Gagosian und Hauser & Wirth heuer durch die Finger blicken – von Konkurrenten wie der mexikanischen Galerie Kurimanzutto oder dem Berliner Galeristinnenduo Sprüth/Magers stammen die meisten Werke.

Auch die in Scharen zur Preview eilenden Sammler freuten sich über die Shoppingliste, die sie in Venedig für die Kunstmesse Art Basel Anfang Juni erhielten. Zu einer sammlerfreundlichen Auswahl gehört natürlich auch viel Malerei. Während in den Länderpavillons eher Video und Skulptur dominieren, fährt die Hauptschau eine Menge figurativer Großformate auf.

Feministische Wandteppiche

Insgesamt zeigt die heurige Biennale durchwegs etablierte Positionen, aber "Blue Chips" müssen draußen bleiben. Gendermäßig schafft die Schau den Ausgleich, aber geografisch nicht, lebt doch ein Drittel der präsentierten Künstler in den USA. So auch die einzige österreichische Teilnehmerin Ulrike Müller. Die 1971 geborene Vorarlbergerin produziert in New York Wandteppiche und Emailbilder, die Modernismuskritik mit Feminismus verknüpfen.

Abstrakte Formen wie bei Müller sind Mangelware, es regiert Figuration. Häufig fällt der Blick auf schwarze Gesichter. Das ist kein Zufall, wird das Thema "Blackness", deren Repräsentation und Unterdrückung im angelsächsischen Bereich doch viel heftiger diskutiert als in Europa. Während der US-Künstler Henry Taylor mit krudem Pinselstrich an afroamerikanische Geschichte gemahnt, hat die Malerin Njideka Akunyili Crosby eine sensible Porträtgalerie nigerianischer Frauen geschaffen. Quer durch das Arsenale faszinieren die fotografischen Selbstinszenierungen der Südafrikanerin Zanele Muholi. Als lesbische Aktivistin bringt sie Politik und Ästhetik in Einklang.

Welt hässlicher Animationen

Indes imaginieren andere schon eine posthumane Welt, in der nur mehr Automaten und Avatare regieren. Mit ihrem Roboter, der voller Dynamik eine blutrote Flüssigkeit hin- und herwischt, ist den Chinesen Sun Yuan und Peng Yu eine Landmark gelungen. Das Publikum fesselt auch ein Animationsfilm von John Rafman, der wie ein hässliches Videospiel in eine Welt von Fabelwesen führt.

Vieles mutet in dieser Biennale surrealistisch an, wird doch stark mit Träumen, Puppen und Fetischen gearbeitet. Bühnenartige Settings voller Requisiten ziehen die Besucher hinein, aber anstelle von Erzählungen bekommen sie nur Versatzstücke für eigene Fantasien geliefert. So hängt Ed Atkins in seine Installation neben Videos auch unzählige historische Kostüme. Eine Aufforderung, selbst in den Look von Game of Thrones zu schlüpfen?

Keine Schlachten um einen Thron, sondern medial vermittelte Kriege stehen im Zentrum des Videoloops 48 War Movies von US-Künstler Christian Marclay. Der Gewinner des Goldenen Löwen 2011 verschachtelt vier Dutzend Kriegsfilme so ineinander, dass jeweils nur mehr der Rand zu sehen ist. Dadurch entsteht eine Zentralperspektive, die von den einzelnen Streifen kaum etwas erkennen lässt. Eine Kakofonie von Geschützlärm ertönt in den simultanen Soundtracks, wo – wie im echten Leben – immer irgendwo geschossen und getötet wird.

Videoloops von Kriegsfilmen

Eine Begegnung mit Soldaten jenseits von Hollywood ermöglicht die Installation Global Agreement des Franzosen Neïl Beloufa. Dafür muss das Publikum auf umgewandelten Fitnessgeräten Platz nehmen und mit dem Kopf Druck ausüben. Am Monitor gegenüber taucht dann ein Mann oder eine Frau auf und spricht über das Leben in der Armee.

Die auf Skype-Interviews basierende Arbeit verunsichert, untergräbt sie doch Stereotype, die Militär und Kriegseinsatz gemeinhin begleiten. Wenn sich über Schwarz-Weiß-Bilder plötzlich ein verwirrender Schleier legt, dann ist der Nebelwerfer guter Kunst eingeschlagen. (Nicole Scheyerer aus Venedig, 9.5.2019)