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1967 in London: links the Mamas (Cass Elliott, Michelle Phillips), rechts the Papas (John Phillips, Denny Doherty) – zusammen schrieben sie Musikgeschichte.

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Michelle Phillips von The Mamas and the Papas war fünf Jahre alt, als ihre eigene Mutter starb. Ihre Karriere und die beiden Kinder konnte sie nur vereinbaren, weil es Rosa aus Mexiko gab.

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Cheviot Hills ist ein ruhiges Wohnviertel an der Westseite von Los Angeles. Es ist fünf Uhr nachmittags. Versteckt hinter dichten grünen Büschen und violett blühenden Bäumen liegt Michelle Phillips' Haus. Das letzte lebende Mitglied der mythischen Musikgruppe The Mamas and the Papas bewohnt ein einstöckiges, einfaches Haus mit dicken Mauern, im sogenannten spanischen Stil.

Phillips öffnet die Türe mit einem freundlichen, langgezogenen "Hi!", so, als kenne man sich schon seit ewiger Zeit. Die 75-Jährige ist barfuß, trägt weiße Hosen und ein T-Shirt, das so pfirsichfarben ist wie die Wände ihres Hauses. An ihnen hängen gerahmte Zeichnungen von Phillips' Kindern, auf dem Kaminsims stehen Familienfotos. Zwei kleine Hunde folgen ihr überallhin.

Mit ihren hellen, strahlend blauen Augen und trotz ihres Alters versprüht sie immer noch den Charme des kalifornischen Hippiemädchens. Sie bietet ein Glas Scotch an und nimmt auf ihrer Veranda Platz. Eine leichte Brise weht, in den Bäumen klingen die Windspiele. Während des Gesprächs streichelt sie immer wieder die Blüten der Rosen neben sich oder streckt sich auf der weißen Rattancouch aus und spricht in den Himmel.

STANDARD: Wie kam es eigentlich zum Namen The Mamas and the Papas?

Phillips: Wir vier Bandmitglieder (außer ihr noch John Phillips, Denny Doherty, Cass Elliot; Anm.) lebten in einem Haus in Laurel Canyon, in Los Angeles, und nahmen gerade unser erstes gemeinsames Album auf. Da wussten wir noch nicht, wie wir unsere Band nennen werden. Eines Abends schauten wir The Les Crane Show, in der Sonny Barger, eines der Gründungsmitglieder der Hells Angels, interviewt wurde. Crane machte ein paar Bemerkungen, dass Bargers Rockerbräute wohl eher leichte Mädchen wären. Barger lehnte sich vor, und ich dachte, jetzt haut er Crane eine rein. Stattdessen sagte er: "Some people call our women cheap. We call them our Mamas." Cass sprang auf und rief: "Das ist es! Das ist es! Michelle und ich, wir werden die Mamas sein! Und ihr? Wie werdet ihr euch nennen?"

STANDARD: Haben Sie sich als Familie gefühlt?

Phillips: Wir hatten unsere eigene Welt und waren uns sehr nahe. Manchmal ein bisschen zu nahe. Als wir uns ein halbes Jahr vorher auf den Jungferninseln trafen, es muss 1964 gewesen sein, verliebten sich Denny und ich ineinander. Zu der Zeit war ich mit John verheiratet und gestand es ihm. Er schaute mich nur ruhig an und meinte nach einer Weile, ich soll mir keine Sorgen machen, Denny hätte sowieso kein Interesse an mir. Das hat mich gewundert, und noch mehr hat es mich gekränkt. Weil mir in dem Moment klar wurde, dass mein Mann sich einen Dreck scherte um unsere Ehe. Es ging ihm nur darum, seinen Tenor – Denny – nicht zu verlieren. So war John. Es ging ihm nur um Musik, nicht um Feelings.

STANDARD: Wo haben Sie Ihren Mann kennengelernt?

Phillips: 1960 in San Francisco. Eine Freundin nahm mich in den legendären Club "hungry i" mit, wo wir den Komödianten Dick Gregory sehen wollten. Die Vorgruppe war ein Folktrio namens Journeyman (John Phillips, Scott McKenzie und Dick Weissmann; Anm.). Ich konnte meine Augen nicht von dem großen Gitarristen lassen. Damals war ich 17, er 26. Es war wirklich Liebe auf den ersten Blick. John verließ seine Frau und seine beiden Kinder, und wir heirateten ein Jahr später.

STANDARD: Bald darauf schrieben Sie gemeinsam "Califonia Dreamin'", eines der berühmtesten und erfolgreichsten Lieder der Welt, das wie kein anderes die Sehnsucht nach Sonne, Wärme und kalifornischem Lebensgefühl ausdrückt. Wie ist es entstanden?

Phillips: John und ich zogen von San Francisco nach New York in ein winziges Studioapartment. Ich hasste New York, es war mir viel zu laut und viel zu kalt. Ich hatte Heimweh nach Kalifornien. John überredete mich, Gesangsunterricht zu nehmen. Ich fand die Idee nicht so super, weil ich eine dünne Stimme habe, dennoch fing ich an. Es fiel mir schwer, doch John ermutigte mich und sagte immer wieder: "Du wirst mir später dafür danken." Eines Nachts weckte er mich auf und sagte: "Hilf mir, diesen Song zu schreiben." Ich antwortete: "Lass uns das morgen machen." Aber John wollte nichts davon hören, und so fingen wir an, gemeinsam den Text von California Dreamin' zu schreiben.

STANDARD: Wie schreibt man so etwas zusammen? Macht da jeder seinen Teil?

Phillips: Das meiste schrieben wir irgendwie gemeinsam. Aber diese Zeilen stammen nur von mir allein: "Stopped into a church / I passed along the way / Well, I got down on my knees and pretend to pray / You know the preacher likes the cold / He knows I'm gonna stay." Wir schrieben den Song und vergaßen irgendwie darauf. In Los Angeles nahmen wir vier dann California Dreamin' als Single auf. Bis zu diesem Zeitpunkt war es unüblich, das Männer und Frauen gemeinsam in einer Gruppe sangen. Monatelang passierte nichts. Ich glaube, wir hörten den Song ein einziges Mal im Radio. Kurz bevor Lou (Adler, Musikproduzent; Anm.) eine weitere Single herausbringen wollte, hatte der Song seinen Durchbruch. Ausgerechnet in Boston! Innerhalb weniger Wochen wurde er zu einem großen nationalen Hit.

STANDARD: Als weiterer wesentlicher Bestandteil dieses California-Feelings war das legendäre Monterey Pop Festival, das John im Sommer 1967 organisierte. Kann man sagen, dass das der Beginn der Hippiekultur war?

Phillips: So sagt man, ja. Der Beginn der Hippiekultur und des legendären Summer of Love. John fragte uns, wen wir auf dem Festival hören wollten, und so kam eine tolle Gruppe von Musikern zustande. Simon & Garfunkel spielten, Ravi Shankar, Eric Burdon & the Animals, The Grateful Dead. Ich selbst brachte Otis Redding hin. Paul (McCartney, Anm.) brachte Jimi mit. Niemand wusste, wer Jimi Hendrix war, niemand wusste, wer Janis Joplin war. Allerdings fühlte ich mich zeitweise auch ziemlich unwohl. Beispielsweise als Jimi Hendrix seine Gitarre anzündete und vorgab, darauf zu pinkeln. Das hab ich nicht kapiert. Das war mir zu Rock 'n' Roll. Als The Mamas and the Papas haben wir das Festival, das drei Tage dauerte, als letzter Akt beendet. Wir haben ein schreckliches Set gespielt. Mein Mikrofon war kaputt, weil The Who es ruiniert hatten, als sie kurz vor uns auftraten. Ich sang quasi ins Leere, und als ich von der Bühne kam, weinte ich, weil ich das Gefühl hatte, dass wir schlecht waren. Ich heulte und heulte und konnte gar nicht mehr aufhören. Das war für mich sehr untypisch, und ich fragte mich, was mit mir los sei. Kurze Zeit später stellte sich heraus, dass ich mit meiner Tochter Chynna schwanger war.

STANDARD: Wie sehr war Ihre Rolle als Mutter mit dem Leben als Rockstar vereinbar?

Phillips: Ich war von Anfang an eine Vollblutmutter. John und ich waren plötzlich reiche Hippies. Wir lebten in einer Villa in Bel Air, mit eleganten Möbeln, großem Garten und Swimmingpool. Alles schien perfekt zu sein. Aber Johns Interesse an Drogen wurde immer mehr zu Problem. Chynna war noch ein Baby. Eines Tages sah ich, wie sie krabbelnd etwas vom Boden aufhob und in den Mund stecken wollte. Es war ein Benzedrin (Amphetamin, Anm.), das John aus der Hosentasche gefallen war. Da wusste ich, dass ich so schnell wie möglich ausziehen musste. Ich wusste, dass er seine Gewohnheiten nicht ändern würde. Versuche, einem Junkie zu sagen, er soll aufhören. Das funktioniert nicht. Er war froh, dass ich ging und er in Ruhe sein Ding machen konnte. Chynnas Krippe und meine Tiffany-Lampe – sie steht heute noch hier im Wohnzimmer – waren alles, was ich mitnahm. Ich bat John nie um Unterhalt. Es hat zehn Jahre gedauert, bis ich mir dieses Haus kaufen konnte. John machte mir das Leben schwer, blockierte unsere gemeinsamen Konten und versuchte immer wieder, mir Chynna wegzunehmen. Meine Unabhängigkeit unterstützte er nie. Bereits während unserer Zeit in New York hatte er ein Problem damit, dass ich als Model arbeitete. Als Sängerin in seiner Band konnte er mich besser kontrollieren. Aber damit war es nun vorbei.

STANDARD: Aber Drogen nahmen doch alle damals und Sie selbst doch auch, oder etwa nicht?

Phillips: Heroin habe ich nie probiert. Kokain fand ich schrecklich. Ich habe nie verstanden, was Leute daran lieben. Aber ich kenne Leute, die ihr Leben durch Kokain ruiniert haben. Es stimmt, dass ich in Sachen Drogen viel erlebt habe. Ich nahm LSD und hatte nur gute Erfahrungen damit. Es kam auf einem Zuckerwürfel und war in den USA bis 1966 legal. Und auch mit Ecstasy hatte ich gute Erfahrungen. Das kaufte ich von einem Pharmaunternehmen in New Jersey. Es kam mit einer glänzenden Broschüre. Ich war nie wild. Ich war freiheitsliebend, aber nie wild. Ich rauchte Pot. Heute mache ich nicht einmal mehr das.

STANDARD: Sie begannen bald, als Filmschauspielerin zu arbeiten. Wer passte auf Ihre Tochter auf?

Phillips: Rosa Garcia aus Guanajuato, Mexiko. Sie lebte 27 Jahre mit uns und arbeitete für mich. Sie war Teil meiner Familie. Ich habe sie in die ganze Welt zu Dreharbeiten mitgenommen und ihr eine US-Staatsbürgerschaft verschafft. Sie war immer bei Chynna. Ohne Rosa hätte ich nicht arbeiten können.

STANDARD: Sie haben auch noch einen Sohn, mit dem Schauspieler Grainger Haines.

Phillips: Als Chynna zwölf Jahre alt war, kam Austin zur Welt. Grainger und Chynna waren bei seiner Geburt dabei. Chynna hielt ihren neugeborenen Bruder in den Armen. Die beiden sind sich sehr nahe. Meine Kinder standen immer an erster Stelle, und wir führten ein normales Leben. Seit Chynna vier Jahre alt war, flehte sie mich an, sie Werbespots und Filme machen zu lassen. Ich ließ sie nicht arbeiten, bis sie 18 war (Chynna war 22, als ihre Band Wilson Phillips mit "Hold On" einen Nummer-eins-Hit erzielte; Anm). Die gleiche Regel galt für meinen Sohn Austin.

STANDARD: Sie selbst wuchsen ohne Mutter auf. Wie war das für Sie?

Phillips: Ich war fünf Jahre alt, als meine Mutter starb. Meine ältere Schwester und ich mussten ein paar Tage bei meiner Tante und meinen Cousins bleiben, bis mein Vater kam, um uns abzuholen. Ich erinnere mich genau, dass er mit uns in einen Park ging. Wir setzten uns, und er erklärte: "Eure Mutter ist gestorben, und wir müssen ohne sie weiterleben. Aber ich werde euch ein letztes Mal zu ihr bringen, bevor sie begraben wird." Ich bin froh, dass mein Vater das getan hat. Wir gingen in die Aufbahrungshalle. Da lag meine Mutter. Sie trug ein türkisfarbenes Kleid, und ich sah, dass sie nicht mehr atmete. Ich erinnere mich, dass ich mich zum Weinen brachte, weil ich wusste, das wäre angemessen. Das es das war, was ich fühlen sollte. Erst als ich sieben oder acht Jahre alt war, fühlte ich die Leere, die sie hinterlassen hatte, und mir wurde bewusst, dass ich nie wieder eine Mutter haben werde. Ich sah, dass andere Kinder ihre Mutter hatten, und das gab mir ein großes Gefühl der Einsamkeit.

STANDARD: Wie kam Ihr Vater mit dieser Situation zurecht?

Phillips: Als meine Mutter starb, packte mein Vater alle seine Bücher in unser altes Plymouth-Auto. Er legte Decken und Laken auf die Bücher, damit wir flach auf ihnen liegen konnten wie auf einem kleinen Bett. Und dann fuhren wir von Los Angeles nach Mexiko-Stadt. Dort lebten wir fünf Jahre lang im Viertel Roma Sul. Mit meinem Vater war alles ein Abenteuer. Er war aber auch ein großartiger Mutterersatz für uns. Er kochte und führte einen guten Haushalt. Er wusste, wie man ein gemütliches Zuhause macht. Er brachte uns bei, mit dem Tod unserer Mutter zu leben und mit dem Leben weiterzumachen. Er war ein lebensfroher Mensch. Er erklärte uns alles und klärte uns auf. Als ich älter wurde, sagte er zu mir: "Wenn du Sex hast, will ich, dass du es mir sagst, denn wir müssen dir ein Diaphragma anpassen lassen, damit du nicht schwanger wirst." Mein Vater hat mich dazu erzogen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen.

STANDARD: Welche Erinnerungen haben Sie an Ihre Mutter?

Phillips: Meine Erinnerungen sind traumhaft, vernebelt. Ich war zu klein. Später schrieb ich alle Dinge auf, die mir zu ihr einfielen. Es war eine kurze Liste. Das war traurig. Und es machte mich traurig. Nach vielen Jahren weiß ich heute, wer meine Mutter ist und war.

STANDARD: Was meinen Sie damit?

Phillips: Meine Mutter war krank und wusste, dass sie sterben wird. Es war fürchterlich für sie, denn es war ihr klar, dass sie keinen Einfluss auf unser Leben haben können wird. Sie war eine schöne, starke Frau, die sich ihrem Vater, der Pfarrer war und die ganze Familie tyrannisierte, widersetzte, indem sie meinen Vater, der Atheist war, heiratete. Sie war sehr besorgt und wollte nicht, dass wir nach ihrem Tod in die christlich fundamentalistische Glaubensgemeinschaft ihrer Familie gezogen werden. Und mein Vater tat alles, damit das nicht passierte. Über die Familie meiner Mutter verlor er aber nie ein schlechtes Wort. (INTERVIEW: Cordula Reyer, 12.5.2019)