Nicht alle freuen sich, wenn ein Grätzel plötzlich hip wird.

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Im Vorjahr wurde ein Haus in Wien-Ottakring geräumt.

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Man kennt die Geschichten aus Städten wie New York, Paris und Berlin: Heruntergekommene Viertel, in denen viele Jahre lang nur Einkommensschwache wohnen wollten, werden nacheinander von Künstlern, Hipstern und schließlich der Immobilienwirtschaft entdeckt.

Weil die Nachfrage an Wohnungen steigt, schnellen die Mieten in die Höhe. Jene, die zuerst da waren, können sich das Wohnen irgendwann nicht mehr leisten – und werden aus dem Viertel verdrängt. Dieser Prozess nennt sich Gentrifizierung.

Internationale Investoren

Gentrifizierung findet auch in Wien statt. Darüber war man sich bei der Präsentation des Sammelbands "Gentrifizierung in Wien. Perspektiven aus Wissenschaft, Politik und Praxis" der Arbeiterkammer Wien vor wenigen Tagen einig. Herausgeber sind die Stadtsoziologin Mara Verlič und der Stadtforscher Justin Kadi.

Mit dem Phänomen Gentrifizierung beschäftigt man sich in Österreich aber noch nicht lange. "Man hat sich in Wien lange in Sicherheit gewiegt", sagte der Wiener Soziologe Christoph Reinprecht. Denn dank der hohen Anzahl an mietenregulierten Gemeinde- und Genossenschaftsbauten ist ein großer Teil der Wiener von steigenden Mieten am privaten Wohnungsmarkt nicht direkt betroffen. Mit der Finanzkrise vor zehn Jahren haben aber internationale Investoren Wien zur Veranlagung von Kapital entdeckt, berichtete der Geograf Walter Matznetter.

Viele Dachgeschoßausbauten

Ein sichtbares Zeichen des Wandels sind beispielsweise Dachgeschoßausbauten, die in manchen Wiener Grätzeln das Stadtbild prägen – und in denen meist hochpreisige Wohnungen entstehen. Soziologe Reinprecht hat gemeinsam mit Christina Liebhart und Camilo Molina den Wandel des Volkertviertels im zweiten Bezirk vom "Problemviertel" zum Wohnviertel untersucht. Die Hälfte der Dachgeschoße der Gründerzeithäuser wurde dort bereits ausgebaut. Bewohnt werden diese zumeist von einer fluktuierenden "Oberschicht".

Allerdings gebe es in Wien Instrumente, die die Gentrifizierung verzögern können, so Liebhart: Menschen wohnen auch in trendigen Stadtvierteln mit günstigen Altmietverträgen, außerdem sei es im Volkertviertel in den 1980er-Jahren auch für Einkommensschwache möglich gewesen, günstig Eigentum zu erwerben.

Die Kontraste innerhalb der Nachbarschaft würden sich nun aber verstärken, so die Forscher. Das bilde sich am Volkertmarkt ab, den Jugendliche und Erwachsene mit "ethnisch diversem Hintergrund" als Raum für Geselligkeit und Freizeit nutzen, während rund um den Markt eine hippe gastronomische Infrastruktur entsteht.

Platz für Luxus

Das Phänomen gibt es aber nicht erst seit kurzem. Geograf Matznetter betonte, dass es Verdrängung unterer Einkommensschichten auch im Wien des Fin de Siècle gab: Schon damals fielen zahlreiche Vorstadthäuser "der Spitzhacke" zum Opfer, um Platz für Luxus zu machen.

Wie sich Verdrängung heute in manchen Häusern manifestiert, wusste AK-Wohnrechtsexperte Walter Rosifka zu berichten. Denn immer wieder versuchen Hauseigentümer, unliebsame Altmieter mit günstigen Verträgen loszuwerden. "Beliebt sind Kündigungen, die einfach ausgesprochen werden, ohne dass ein Kündigungsgrund vorliegt", erzählte der Jurist. Ziel eines solchen Vorgehens sei, die Mieter unter Druck zu setzen – und so zum Ausziehen zu bewegen. Auch Mieterhöhungen, die weit über ein rechtlich erlaubtes Maß hinausgehen, und fehlende Erhaltungsarbeiten gehören zu den Gemeinheiten.

Es werde "aktives Entmietungsmanagement" betrieben, eigene Unternehmen hätten sich auf das Vergraulen von Vermietern spezialisiert. Besonders bei bildungsfernen Schichten werde mit Drohungen und Täuschungen probiert, sie zur Unterzeichnung einer "freiwilligen Auflösungserklärung" des Mietvertrags zu bewegen. Strafrechtliche Konsequenzen hätten Vermieter in den meisten Fällen nicht zu befürchten, klagte der Jurist.

Punks und Altmieter

Und auch Mieterproteste sind in Wien selten. "Es fehlt eine breite Mobilisierung", analysierte die Sozialwissenschafterin Sarah Kumnig – aber nicht, weil es keinen Grund dafür gäbe, ist sie überzeugt. Sie hat drei wohnpolitische Initiativen – die MieterInnen-Initiative, die mittlerweile aufgelöste Initiative "Mietenwahnsinn stoppen" und die Initiative "Zwangsräumungen verhindern" – analysiert. Diese benennen unter anderem befristete Verträge, steigende Mieten und Rassismus am Wohnungsmarkt als größte aktuelle Probleme.

Widerstand regt sich dennoch: Das bekannteste Beispiel ist die Pizzeria Anarchia, ein Haus in der Wiener Leopoldstadt, das vor fünf Jahren medienwirksam geräumt wurde. Der Eigentümer des Hauses hatte, um die Altmieter zu vergraulen, Punks einquartiert, die sich dann aber mit den Mietern solidarisierten – und sich weigerten, auszuziehen. "Das war ein wichtiger Moment des Widerstands, der zu einer breiteren Diskussion führte", so Kumnig.

Sanktionen gegen Mietwucher

Im Vorjahr gab es auch eine Hausbesetzung in der Neulerchenfelder Straße in Ottakring. "Die Häuser denen, die drin wohnen", verkündeten die Hausbesetzer damals in sozialen Netzwerken. Das Haus wurde von der Polizei im Dezember geräumt. Diese "kleinen Protestmomente" seien wichtig, um die Gentrifizierung nicht hinzunehmen, so Kumnig. "Aber es wird mehr brauchen, um das Verständnis zu schärfen."

Thomas Ritt von der Arbeiterkammer forderte von der Stadt Maßnahmen, um die Verdrängung von Menschen zu bremsen. Er forderte beispielsweise eine Erfassung von Verdrängungsprozessen und lokalen Preisentwicklungen, wirksame Sanktionen bei Mietwucher, mehr geförderten Wohnbau und einen Genehmigungsvorbehalt bei Umwandlungen von Miet- in Eigentumswohnungen. Die AK fordert auch seit langem schon ein neues Mietrecht, das auch für Wohnungen gilt, die nach 1945 errichtet wurden.

Neue Widmungskategorie

Droht Wien ein Schicksal wie New York, wo alle paar Jahre ein neues Trendviertel ausgerufen wird – und die Mieten in die Höhe schnellen? Lukas Tockner, Referent für Wohnpolitik in der AK Wien, sieht die Zukunft positiv, etwa in Hinblick auf die neue Wiener Widmungskategorie "geförderter Wohnbau", aber auch, weil das Bevölkerungswachstum sich einbremsen dürfte. In "zwei, drei, vier" Jahren rechnet er mit einer Entspannung am Wohnungsmarkt. Probleme werde es auch in Zukunft immer wieder geben, glaubt Rosifka. "Es gibt immer Menschen, die mit dem Gut Wohnen spekulieren." (Franziska Zoidl, 12.5.2019)