Die Palästinenser sollen an Verhandlungen teilnehmen, "doch der Verhandlungstisch ist zertrümmert", beklagt die prominente palästinensische Politikerin Hanan Ashrawi.

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Lange mussten die Besucherinnen und Besucher nicht warten, bis sich offenbarte, welcher Teil des Titels der Veranstaltung "A Negotiated Two State Solution: Vision and Reality" stärker betont werden würde, als am Donnerstagabend Hanan Ashrawi am Donnerstagbend im Wiener Kreisky-Forum zu Gast war: "Die Zweistaatenlösung ist erledigt", sagte die führende Vertreterin der PLO gleich zu Beginn. Sie sei nie die "Idealvorstellung der Palästinenser" gewesen, sondern ein "schmerzhafter Kompromiss, bei dem 78 Prozent vom historische Palästina Israel werden". Doch mittlerweile habe sich sogar diese "Vision" zum "Albtraum" entwickelt.

Jede Verlängerung des Friedensprozesses sei von Israel genutzt worden, sei "ein wichtiges Instrument der Besatzung selbst" gewesen, um etwa Siedlungen auszubauen und Realitäten auf dem Boden zu schaffen. Die Folge: Aufseiten der Palästinenser habe sich "kollektive Enttäuschung" breitgemacht.

Das habe auch mit der jüngsten Vorgehensweise der USA zu tun. Ashrawi kritisierte bei der Veranstaltung mit STANDARD-Nahost-Expertin Gudrun Harrer etwa die Zusammensetzung des US-Verhandlungsteams. Es handle sich dabei nicht um objektive Experten, sondern zum Teil um ideologische Repräsentanten und Fürsprecher Israels. Nun warte man auf den Friedensplan einer Person, "die wahrscheinlich noch nie in ihrem Leben ein Buch über Politikwissenschaft gelesen hat", beklagt sich Ashrawi über Jared Kushner, Donald Trumps Berater und Schwiegersohn, dessen Nahost-Friedensplan für Anfang Juni erwartet wird.

Destruktive Schritte

Ashrawi zählte zahlreiche Schritte der USA auf, die sie als destruktiv beurteilt: etwa die Anerkennung Jerusalems als israelische Hauptstadt sowie die Verlegung der US-Botschaft dorthin, die Neudefinition des Flüchtlingsstatus vieler Palästinenser durch die USA und dass Washington nicht mehr von Besatzung oder Zweistaatenlösung spreche. Die Palästinenser sollen an Verhandlungen teilnehmen, "doch der Verhandlungstisch ist zertrümmert", beklagt Ashrawi. Kushner hatte bereits angekündigt, dass in seinem Friedensplan nicht von "zwei Staaten" die Rede sein werde, weil die Zweistaatenlösung für Israel etwas anderes bedeute als für die Palästinenser.

Ashrawi kritisierte, dass von den Palästinensern erwartet wird, "kreativ" zu sein, eine neue Lösung auf den Tisch zu legen, "aber wir waren nicht diejenigen, die den Staat Israel geschaffen haben". Sie sieht die internationale Gemeinschaft in der Pflicht, hier eine neue Vorgehensweise zu präsentieren.

Verantwortung der internationalen Gemeinschaft

Die Palästinenser sehen etwa eine Verantwortung der EU: Der palästinensische Botschafter bei der Uno, Riyad Mansour, hat diese Woche etwa in New York gefordert, dass Brüssel die Initiative bei der Suche nach einer Friedenslösung übernehme. Ashrawi glaubt aber, dass es der EU bei dem Thema an Selbstbewusstsein fehle, auch aus Angst vor einem Aufstieg der Rechten. Die arabische Welt sei zugleich "abgelenkt, dysfunktional und gespalten", auch was ihr Verhalten gegenüber den USA betreffe. Für einige Länder stehe die Option eines Bündnisses mit den USA und Israel im Raum, um den Iran "zum wahren Feind" zu erklären.

Auch bei den Palästinensern und der PLO sieht Ashrawi Handlungsbedarf. "Wir müssen uns reformieren, wieder vereinigen und verjüngen", das politische System als Ganzes. Das müsse durch Wahlen geschehen, die aber unter den vorherrschenden Bedingungen schwierig zu bewerkstelligen seien.

Alles in allem triste Aussichten – noch bevor der groß angekündigte "Deal des Jahrhunderts" von Jared Kushner überhaupt auf dem Tisch liegt. (Noura Maan, 10.5.2019)