Die Waffe feuert Winnie (Alexandra Sommerfeld) nicht ab. Sie bereitet der von Einsamkeit Geplagten aber auch so einen kleinen Zeitvertreib.

Foto: Theaterpunkt

Zumindest auf das Klingeln des Weckers ist Verlass. Er schrillt jeden Morgen und Abend. Das markiert Start und Ziel des Tages. Mit ihrem Willie hat Winnie nicht so viel Glück. Denn der Kerl antwortet ihr oft gar nicht. Samuel Beckett hat mit den beiden ein vordergründig seltsames Paar gezeichnet. Winnie ist aber alles andere als das. Sie ist eine berührende Studie der Einsamkeit.

Bis zur Hüfte steht Alexandra Sommerfeld in einem rostigen Metallkäfig (Alexandra Pitz). Laut Samuel Becketts Stück Glückliche Tage ist sie eingegraben in einen Erdhügel. Sie hat es also nicht leicht. Ihre Tage haben einen Start und ein Ziel, weil es sie zu überstehen gilt. Daher hat Winnie sich ein Prozedere zurechtgelegt, um die vielen Leerstunden zu füllen.

Rettender Sack

Wenn man so einen Sack hat wie den, der neben ihr liegt, hilft das schon ein wenig. Eine Zahnbürste, Lippenstift, eine Brille, einen Revolver, eine Bürste angelt Sommerfeld nach und nach aus ihm hervor. Der Tag ist noch immer lang und lang nicht voll, aber sie gibt sich Mühe, schminkt sich die Lippen, putzt die Brille. Aus der Arzneiflasche gegen Trübsinn nimmt sie die vorgeschriebenen sechs Esslöffel als einen kräftigen Schluck. Aus den Borsten welches Tieres ist nochmal die Bürste?

Winnie entwickelt für diese paar Dinge die Neugier derjenigen, die zu ihrem Leidwesen nichts sonst zu tun haben. Und wenn sie den transparenten Sonnenschirm ewig lang hochhält, dann weiß sie um den Unsinn dieser Aktion. Sie tut es aber aus purer Verzweiflung.

Sie ist nämlich auch eine geübte Meisterin darin, sich trotz allem aufrecht zu halten. Jeder Tag kann ein glücklicher werden. Es wird ein glücklicher Tag gewesen sein, flüstert Sommerfeld sich zu.

Postdramatische Mechanik

Regisseurin Sabine Mitterecker inszeniert das Zweipersonendrama in der Wiener Galerie Thoman zwischen wandfüllenden Körperstudien und blutroten Schüttbildern von Hermann Nitsch. Sie lässt Sommerfeld auch die Regieanweisungen sprechen. Das enthüllt die Mechanik des Spiels – der Pause, des Schauens, Herausziehens, sich Drehens und was Sommerfeld sonst noch verbalisiert. Zwar im Sinne Becketts wirkt diese postdramatische Ästhetik doch etwas überholt.

Fernab schon fast im Publikum sitzend, liest Willie (Günter Rainer) derweil in der Zeitung. Hin und wieder teilt er Winnie daraus knapp eine Todes- oder Kontaktanzeige mit. Über verstorbene Bekannte gerät diese ins Nachdenken ob ihrer vergangenen Jugend.

Wertvolles Gegenüber

Willie bietet Winnie nicht viel, aber er ist ihr ein Gegenüber. Darin liegt die bedrückende und berührende Logik des eineinhalbstündigen Abends. Beckett zeigt darin den Wert einer fremden Reaktion für unser Menschsein. In Sommerfelds Gesicht wirkt sie sich mit leuchtenden Augen aus.

Auch wenn sich letztlich eine Länge einschleicht: Absurdes Theater? Nichts an Winnies Handeln ist vor diesem Hintergrund so kurios und seltsam wie es scheint. (Michael Wurmitzer, 10.5.2019)