Klosterneuburg/Wien/Genf – Zum Aufbau des Neocortex – der äußersten Schichten der Großhirnrinde – müssen Stammzellen die Bildung von Milliarden Nervenzellen verschiedenster Art anstoßen. Wie das im Detail und in der richtigen zeitlichen Abfolge vonstattengeht, ist allerdings noch nicht vollständig geklärt. Ein wichtiger Schritt zum Verständnis ist nun aber einem Forscherteam mit österreichischer Beteiligung gelungen, berichtet das Institute of Science and Technology (IST) Austria im niederösterreichischen Klosterneuburg.

Neues Verfahren

Das Team um Denis Jabaudon von der Uni Genf und Laurent Nguyen von der Uni Lüttich setzte bei seiner Arbeit auf ein neues Verfahren, mit dem einzelne Stammzellen markiert und ihre Aktivität über die Zeit mitverfolgt werden können. Bei den Studien an Mäusen zeigte sich, dass sie zu unterschiedlichen Zeitpunkten mit anderen genetischen Programmen arbeiten und diese an ihre Tochter-Neuronen weitergeben.

Diese Programme ändern sich überdies in ihrer Ausrichtung und werden immer komplexer. Ist es zuerst vor allem die Steuerung von Prozessen innerhalb von Zellen, kommen mit der Zeit mehr Programme zur Anwendung, die auch Reize von außerhalb der Zellen verarbeiten. Man sei hier einem Grundmechanismus auf der Spur, der es ermöglicht, jene Vielfalt an Nervenzellen herzustellen, die es im sich so rasch entwickelnden Gehirn in Mäuse-Embryos braucht, schreiben die Forscher.

Entscheidender Proteinkomplex

Auf der Suche nach dem Proteinkomplex, der diese Entwicklung steuert, fanden die Wissenschafter den "Polycomb Repressive Complex 2" (PRC2). Einem Neurobiologen-Team um Simon Hippenmeyer und Nicole Amberg vom IST Austria gelang es in der Folge, die Aktivität dieses Komplexes zu unterbinden.

Die Folge davon war, dass die Stammzell-Aktivität aus den Fugen geriet: Sie reiften entweder zu rasch oder produzierten falsche Neuronen zum falschen Zeitpunkt. Außerdem entstanden unter diesen Bedingungen zu wenige Nervenzellen, was zur Mikrozephalie führte. Das heißt, das Gehirn und der Kopf der Mäuse waren krankhaft verkleinert.

Die neuen Erkenntnisse würden dabei helfen, "jene Strukturen und Mechanismen besser zu verstehen, die bei Fehlfunktion zu Fehlbildungen im Gehirn eines Embryos und damit zu neuronalen Entwicklungsstörungen führen", so Amberg. Außerdem zeige sich anhand der tief greifenden Auswirkungen der Blockade von PRC2 erneut, "wie komplex und heikel die Entwicklung unseres Gehirns ist". (APA, red, 12. 5. 2019)