Monaco ist der Stadtstaat der kurzen Wege. Bei zwei Quadratkilometern Fläche nicht verwunderlich. Der erste Wiener Bezirk ist größer. Trotz arbeitsintensiver Tage auf Dienstreise kommt man also nicht viel rum, will seinem Körper aber trotzdem etwas Gutes tun.

Daher dachte ich: Hey, es gibt keinen besseren Ort für die traditionelle, jährliche Sporteinheit als den traditionellen Circuit de Monaco. Also raus aus dem Pressezentrum. Auf geht’s auf die Strecke des ruhmreichsten Grand Prix im Motorsport. Betonung auf gehen, ist ja ebenso eine olympische Sportart.

Stadtkurs, Fürsten und Nervenkitzel

Über einen Stadtkurs zu spazieren, ist problemlos möglich. Er ist ja keine künstlich erbaute Rennstrecke in der Pampa, sondern setzt sich aus simplen Straßen zusammen, die es so das ganze Jahr gibt. Nebenbei lernt man noch ein bissl das Fürstentum kennen. Voilà – Jawohl! Eines meiner drei französischen Vokabeln, die ich kenne, eingebaut – was will man mehr.

Boulevard Albert 1er heißt die erste Station. Im Rennfahrerdeutsch: Start- und Zielgerade. Für Historiker: Benannt nach dem Fürsten von Monaco 1889 bis 1922. Gefühlt jeder zweite Straßenzug versprüht adeligen Hauch. Stadion Stade Louis II, Boulevard Rainier III, Quai Ranier III, Quai Ranier I. Ehe ich die Reihe endlos fortsetze, kommt mir ein Auto entgegen.

Am Renntag wär das eher suboptimal, aber am Freitag ist die Strecke noch für alle geöffnet. Die Leitplanken, die Streckenbegrenzungen, sind bereits aufgebaut, die Gehwege teilweise versperrt. Also gehen viele Fußgänger einfach auf der Straße, seitlich vom Fließverkehr. Nichts für schwache Nerven. Ich stelle mir vor, wie mir ein Wiener Autofahrer hinterherschreit: "Heast, Deppata, runta von da Straße!"

Die verhängnisvolle Zweigung

Stattdessen biege ich rechts um die Kurve und stehe am Scheideweg. Zwischen Formel E und Formel 1. Letztere führt die Avenue d’Ostende hinauf, die Elektroautos fahren aufgrund geringerer Leistungsstärke gleich Richtung Hafen. Eine Prise Meer klingt verlockend, trotzdem siegt nicht mein innerer Schweinehund. Ich wollte mich ja sportlich betreiben. Also wird’s der längere Kurs, rauf auf den Berg.

Avenue d’Ostende.
gstaltmeyr

Ich bereue es nach zehn Metern. Gesamt warten etwa 350 Höhenmeter und 350 Schweißperlen auf mich. Bei der Tour de France wohl nicht einmal eine Bergwertung wert, für mich zumindest ein paar Fluche. Die hohe Luftfeuchtigkeit trägt ihren Teil bei. Neben mir fährt ein LKW-Betonmischer hoch. Ich weiß nicht, wer lauter schnauft. Er oder ich. Ein Bus überholt mich. Dann eine alte Dame. Gut, weil ich ein Foto mache.

Vom Institut Monegasque de Medicine du sport. Ob ich Hochleistungssportler dort auch untersucht werden würde? Ich finde es nicht heraus, sondern kämpfe mich weiter. Wenig später ein Kardiologe. Monaco will mich häkln. Immerhin habe ich den Bus eingeholt. Weil er im Stau stand. Und jetzt an der Haltestelle, einer Lücke zwischen den Leitplanken.

Hilfe, Doktor.
gstaltmeyr

Trotzdem ein Erfolgserlebnis. Noch mehr, weil die Abbiegung am Ende des Berges zu erkennen ist. Geschafft. Und nach der Arbeit kommt das Vergnügen, geht’s jetzt doch am berühmten Casino vorbei. Halb Monaco scheint dort versammelt und bewundert die zig Luxusautos vorm Eingang.

Ich bin ein bissl enttäuscht, dass ich nicht bewundert werde. Immerhin habe ich gerade einen Gipfelsieg errungen. Und ich hätte lieber im Casino mein ganzes Vermögen auf Rot gesetzt als dieses Hügelchen – entschuldigen Sie, Tippfehler: Ich meinte, diesen bösen Zwillingsbruder des Mount Everest ersteigen zu müssen.

Erster Gang und Tunnel

Zumindest folgt nun die Belohnung. Denn wer hochgeht, muss auch mal runter, in diesem Fall die Avenue des Spélugues entlang zum Grand Hotel Hairpin, der langsamsten Kurve der Formel 1. Die einzige, welche die F1-Fahrer im ersten Gang fahren. Also genau mein Tempo. Hier fühle ich mich daheim.

Wenig später: Endlich stehe ich vorm bekannten Tunnel unter dem Fairmont-Hotel. Ich würde dort aufgrund der Strapazen gerne einchecken. Für zwei Minuten könnte ich mir wohl auch ein Zimmer leisten. Im Keller. Neben der Straße. Also kann ich eigentlich auch gleich weitergehen. Das mach ich. Die Röhre zieht sich ein wenig. Im Fernsehen geht das schneller. Vielleicht weil die F1-Boliden hier auf die schnellste Stelle im Kurs zufahren, ehe die Hafenschikane kommt.

Die Hafenschikane

Ja, der Hafen, nach dem Tunnel ist er in ganzer Pracht zu sehen. Aber Abkühlung streng verboten, immerhin bin ich unterwegs Richtung persönlicher Rundenrekord. An dieser Stelle vereinigen sich Formel 1 und E-Kurs wieder. Die Elektroautos fahren praktisch auf den Tunnelausgang zu, legen eine 180-Grad-Drehung hin und fahren dann wieder auf der F1-Strecke.

Für mich heißt die Realität nun Hafenschikane. Die scharfe Linkskurve nimmt F1-Autos den Speed raus. Man kann statt der Kurve auch gerade durchfahren, aber dafür kann es Strafen hageln. Ich habe davor keine Angst. Was soll passieren? Die Renn- oder Gehleitung kann mich nicht auffordern, als Kompensation für die Abkürzung langsamer zu gehen. Denn langsamer geht nicht. Und eine Stop and Go-Strafe in der Box? Nichts lieber! Eine Pause käme gerade recht.

Ein Draufgänger auf den Curbs

Zumindest verliere ich in der Hafenschikane keinen Speed, kann also das Tempo mitnehmen. Gut so, denn mittlerweile gehe ich über eine Stunde. Es ist schwül und anstrengend. Ich reize sogar aus Verzweiflung schonungslos die Grenzen des Reglements aus. Ich gehe über die Curbs. Sie markieren die Streckenbegrenzung. Ich bin eben ein Draufgänger.

Die Fahrer studieren die Curbs mitunter im sogenannten Driver track walk vor dem Rennen, denn deren Höhe entscheidet darüber, ob und wie schnell man drüberfahren kann. Formel-E-Profis konnten in diesem Programmpunkt am Freitag zudem den teils neu verlegten Asphalt begutachten, der das Fahrverhalten durchaus beeinflusst, unter Umständen gar neue Bodenwellen hervorzaubert.

Es gibt immer einen noch größeren.
Foto: gstaltmeyr

Enttäuschende Yachten und Schlussspurt

Apropos heiß. Ist mir auch. So sehr sogar, dass mittlerweile die aufgefädelten Yachten auf der Seite enttäuschend wirken. Sie werfen nämlich keinen Schatten auf die Rennbahn.

Mich motiviert die Aussicht auf die nächste Kurve. Denn danach kommen die riesigen Zuschauertribünen. Der Übergang zu den Häusern dahinter ist fließend. Fast wie am Sportklub-Platz in Wien. Auf diesen Tribünen feuern jedenfalls die Fans ihre Helden an.

Kein Applaus.
gstaltmeyr

Bei mir klatscht niemand. Die Tribünen sind noch menschenleer. Niemand sieht also meinen Zieleingang. Eine Stunde und 40 Minuten hat der 3,3km-lange Ausflug letztlich gedauert. Der F1-Streckenrekord liegt bei 1:14. Minuten. Jener der Formel E bei 52 Sekunden.

Geschlagen begebe ich mich zurück ins Pressezentrum. Der Security-Mann lächelt. Neben ihm steht ein E-Roller. Nächstes Mal nehme ich den. (Andreas Gstaltmeyr, 12.5.2019)