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Emmanuel Macron will das EU-Parlament gravierend neu ordnen.

Foto: Reuters/Wojazer

Seit vielen Monaten liefen im Hintergrund diskret die Vorbereitungen, an diesem Wochenende hat die politische "Bewegung" von Emmanuel Macron namens "La République en Marche" (LREM) nun die Katze aus dem Sack gelassen: Frankreichs Staatspräsident strebt nach den EU-Wahlen vom 23. bis 26. Mai machtpolitisch eine gravierende Neuordnung im Europäischen Parlament an.

Bei einem Treffen in Straßburg haben sich Vertreter Macrons mit sieben anderen liberalen Parteien auf ein Vorgehen geeinigt: die Neos und die deutschen Liberalen (FDP) sind ebenso mit von der Partie wie die beiden niederländischen Parteien D66 und VVD von Premier Mark Rutte, Momentum aus Ungarn, die Ciudadanos aus Spanien.

Am Abend gab Portugals sozialdemokratischer Premierminister Antonio Costa überraschend bekannt, dass er Macrons Projekt "Renaissance für ein neues, progressives Europa" unterstützen werde. Costa ist damit der vierte Regierungschef, und der erste Sozialdemokrat, der damit die bestehende Fraktionsstruktur im EU-Parlament sprengt.

Auch die belgischen Liberalen (MR) mit Premierminister Charles Michel machen mit. Dies wurde dem STANDARD am Samstagabend bestätigt.

Das traditionelle Parteiengefüge, wie es in den Fraktionen in Straßburg seit Jahrzehnten besteht, soll quer durch die Lager aufgebrochen werden. Nach der Neukonstituierung der Kammer Anfang Juli will Macron mit einer von LREM dominierten eigenen Fraktion zu einem Machtfaktor werden, den man bei der Bildung der künftigen EU-Kommission und bei der Wahl des nächsten Kommissionspräsidenten oder -präsidentin nicht übergehen kann. Mindestens 100 Mandate, drittstärkste Fraktion hinter der Europäischen Volkspartei (EVP) und den Sozialdemokraten (S&D), ist das Ziel, eventuell sogar zweitstärkste.

"Renaissance" für die EU

Als Vehikel soll ihm dabei die Gründung dieser Fraktion von "Zentristen" dienen, die unter dem Namen "Renaissance" firmieren dürfte. Fixiert ist diese Bezeichnung noch nicht. Der Staatspräsident hatte diesen Begriff in seinen großen Reden zu den von ihm verlangten EU-Reformen seit seiner Wahl aber immer wieder verwendet. Bereits bei seiner programmatischen Ansprache an der Sorbonne im September 2017 hatte er die nötige "Neugründung" der Europäischen Union angesprochen. Sie sähe die weitere tiefe Integration vor allem der Länder der Euro-Währungsunion vor, bis hin zur Bildung einer Verteidigungsgemeinschaft.

Die neue Fraktion wäre so etwas wie eine Trägerrakete für das Projekt, wie dem STANDARD in Kreisen der europäischen Liberalen (Alde) bestätigt wurde. Sie sind derzeit mit 69 Mandaten im EU-Parlament vertreten, unter Führung ihres Fraktionschefs Guy Verhofstadt, der mit Macron bereits seit vergangenem Jahr verhandelte. Die Abgeordneten der Alde-Fraktion sollten nach dem Willen des französischen Präsidenten das Grundgerüst der neuen Fraktion sein. Sie bestünden aus in ihren Nationalstaaten aber relativ kleinen Parteien. Nur Macrons Bewegung wäre mit mehr als 20 Mandaten mehr als vier Mal so groß wie Ruttes VVD-Delegation in Straßburg.

Macrons größerer Plan

Aber Macron plant noch viel größer. Nicht nur setzt er darauf, dass seine LREM nach den EU-Wahlen mit geschätzt 22 EU-Abgeordneten in der neuen Gruppe das Kommando übernimmt. Verhofstadt möchte nach zehn Jahren an der Fraktionsspitze der ALDE gerne neuer EU-Parlamentspräsident werden, heißt es. Der Staatspräsident sieht die Renaissance-Fraktion programmatisch als eine Art öko-soziale Avantgarde für das künftige Europa.

Emissäre Macrons haben daher ihre Fühler auch nach grünen Mitstreitern ebenso ausgestreckt (die Grünen haben 52 Mandate). Auch Abgeordnete und ganze Länderparteien wollen sie in die neuen Gruppe in Straßburg saugen, Zentristen ebenso wie Sozialdemokraten. Prominentester Kandidat: Italiens Sozialdemokraten vom Partito Democratico des früheren Premierministers Matteo Renzi, mit dem Macron seit 2018 in Kontakt ist.

Zur Erinnerung: Vor einem Jahr hatte auch Ex-SPÖ-Chef Christian Kern mit der LREM Gespräche über eine Wahlplattform geführt, wollte als SPÖ-Spitzenkandidat einsteigen, trat dann aber Ende Oktober zurück.

Wie konkret dieses Projekt ist, hatte sich bereits beim EU-Gipfel in Sibiu/Hermannstadt am vergangenen Donnerstag abgezeichnet: Dort legte Macron ein von ihm geführtes neues Klimaschutzprogramm für die EU vor, das von acht Staaten unterstützt wurde, darunter von allen drei Beneluxstaaten, die derzeit von liberalen Premierministern regiert werden. Sichtlich abgesprochen, sprachen sie sich mit Macron deutlich auch gegen das von der EVP und Sozialdemokraten, den Grünen und anderen Fraktionen getragene Modell der EU-Spitzenkandidaten aus.

Weber oder Timmermans verhindern

Der Wahlgewinner unter diesen sollte nach dem Willen der Parlamentarier eigentlich den Anspruch haben, nächster Kommissionspräsident zu werden. Wie berichtet, lehnen die Liberalen und Macron das ab, unterstützt vom griechischen Premier Alexis Tsipras und Ungarns Viktor Orbán (EVP). Da der nächste Kommissionschef erst von den Staats- und Regierungschefs nominiert werden muss, bevor er von einer Mehrheit im Parlament gewählt wird, will Macron dafür sorgen, dass Manfred Weber oder Frans Timmermans nicht zum Zug kommen.

Er und die Liberalen hoffen, dass sie die bisherige Wettbewerbskommissarin Margarete Vestager von den dänischen Liberalen an die Spitze der Kommission hieven können. Mit den Premierministern Rutte (Niederlande) und Michel (Belgien) stünden als Alternative weitere starke Kandidaten bereit.

Ob all diese Planspiele aufgehen, muss sich freilich erst zeigen. Denn noch ist nicht einmal sicher, ob die gesamte Alde-Fraktion bei diesem Coup überhaupt mitspielt. Denn das würde bedeuten, dass Europas Liberale sich mit einem Mal dem französischen Diktat unterwerfen, bestehende Strukturen de facto aufgeben müssten.

"Auf keinen Fall so"

"Das wird auf keinen Fall so stattfinden", sagte ein hochrangiger Liberaler dem STANDARD. Beim Treffen in Straßburg machten alle nationalen Schwesterparteien den LREM-Vertretern klar, dass es eine gemeinsame Fraktion nur geben könne, wenn die Macronisten die Alde als gleichwertigen Partner akzeptierten. Ein Franzose als künftig gemeinsamer Fraktionschef nach Verhoftstadt wird eher ausgeschlossen.

Die deutschen Freidemokraten (FDP) etwa sind skeptisch, auch was die Verlässlichkeit Macrons betrifft. Viele in der Alde meinen, dass es dem französischen Präsidenten in Wahrheit nur darum geht, seine Machtposition auszubauen und die Chancen auf eine Wiederwahl im Jahr 2022 zu verbessern.

Von den österreichischen Neos gab es zunächst keine offizielle Bestätigung. Generalsekretär Nikola Donig sagte dem STANDARD noch vor dem Treffen in Straßburg, es sei "vieles im Fluss". (Thomas Mayer aus Sibiu, 11.5.2019)