Seoul – Ein Interview mit dem südkoreanischen Präsident Moon Jae-in im heimischen Fernsehen hat überraschende Konsequenzen für die Fragen stellende Journalistin: Die erfahrene Politikreporterin Song Hyun-jung sieht sich nach dem am Donnerstag im Sender KBS ausgestrahlten Gespräch heftiger Kritik von Moons Anhängern ausgesetzt.

Im Internet wurde sie für ihre "unhöfliche Haltung" und Mimik sowie ihr "zu aggressives" Verhalten gerügt. Song habe "den Präsidenten unterbrochen", ihr Stirnrunzeln in Anwesenheit des Staatschefs sei "ungezogen" und "unerfreulich" gewesen, hieß es unter anderem.

Allergrößter Respekt

Zwei Jahre nach seinem Amtsantritt war es das erste Interview Moons in Südkorea. Darin verteidigte er seine Wirtschaftspolitik und verurteilte die jüngsten Raketentests Nordkoreas. Nach westlichen Standards war Songs Befragung durchaus milde und ehrerbietig. In der hierarchischen Gesellschaft der stark von Traditionen geprägten ehemaligen Diktatur, die sich erste Ende der 80er Jahre hin zu Demokratie wandelte, verdient der Präsident nach Ansicht vieler jedoch den allergrößten Respekt – auch wenn alle vier lebenden ehemaligen Staatsoberhäupter derzeit in Haft sitzen oder bereits Gefängnisstrafen verbüßten.

Eine Online-Petition an Moons Büro forderte für künftige Fernsehauftritte "einen besseren Interviewer". Bis Freitagnachmittag (Ortszeit) unterschrieben rund 20.000 Menschen.

Songs Fürsprecher argumentierten, die Reporterin werde auch deswegen attackiert, weil es gegen die etablierten Geschlechterrollen verstoße, wenn sie als Frau einen älteren, mächtigen Mann befrage. Die Kritik an ihrem Benehmen und ihrer Mimik zeige, "wie ungewohnt es für die südkoreanische Öffentlichkeit ist zu sehen, wie Frauen mächtige Männer herausfordern", sagte die Frauenrechtlerin Bae Bok-ju.

Aus dem Präsidentenpalast in Seoul verlautete, es sei "unangemessen" für den Staatspräsidenten, die öffentliche Kritik an der Journalistin zu kommentieren. Moon sei nach dem Interview jedoch nicht "verärgert" gewesen und hätte auch nichts gegen einen "aggressiveren Kampf" gehabt. (APA, 12.5.2019)