Der Canaletto-Blick vom Oberen Belvedere gehört zu Wiens Welterbestatus. Warum das eine UVP-Pflicht bedingen soll, wie das Verwaltungsgericht sagt, ist kaum nachvollziebar.

Foto: Belvedere Wien / Johannes Stoll

Das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) hat in seinem Erkenntnis vom 9. April die Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) für das Heumarkt-Projekt angeordnet. Um zu diesem Ergebnis zu gelangen, musste sich das BVwG mehrfach über einen eindeutigen Gesetzeswortlaut hinwegsetzen.

Ausgangslage ist, dass nach dem Wortlaut des österreichischen UVP-Gesetzes das Heumarkt-Projekt nicht UVP-pflichtig ist. Dies wäre nämlich nur dann der Fall, wenn es sich um ein "Städtebauvorhaben mit einer Flächeninanspruchnahme von mindestens 15 ha und einer Bruttogeschossfläche von mehr als 150.000 m2" handeln würde. So groß ist das Heumarkt-Projekt freilich bei weitem nicht.

Schwellenwerte

Allerdings bezweifelt das BVwG, dass Österreich die maßgebliche UVP-Richtlinie der EU ordnungsgemäß umgesetzt hat. Dort ist davon die Rede, dass bei "Städtebauprojekten" die Mitgliedstaaten bestimmen, unter welchen Voraussetzungen solche Projekte einer UVP zu unterziehen sind. Diese Rahmenbedingungen hat der österreichische Gesetzgeber mit den angeführten Schwellenwerten getroffen.

Über diesen Gesetzeswortlaut setzt sich das BVwG mit der Begründung hinweg, dass die Richtlinie den Gesetzgeber verpflichte, bei der Festlegung der Kriterien der UVP-Pflicht zu berücksichtigen, ob historisch oder kulturell bedeutende Landschaften und Stätten beeinträchtigt würden – insbesondere jene, die wie die Wiener Innenstadt zum Unesco-Weltkulturerbe zählten. Dieses könnte, so das BVwG, bereits durch Projekte beeinträchtigt werden, die weit unter den österreichischen Schwellenwerten liegen.

Was spricht gegen die Richtigkeit dieser Auffassung?

Erstens: Die EU-Kommission hatte vor etwa zehn Jahren ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich wegen unzureichender Umsetzung der UVP-Richtlinie geführt. Nach einigen Nachbesserungen des österreichischen Gesetzgebers wurde das Verfahren eingestellt. Der "Städtebautatbestand" war bereits damals gesetzlich verankert und von der Kommission im Gegensatz zu vielen anderen Bestimmungen nicht kritisiert worden. Warum sich ein österreichisches Gericht genötigt fühlt, Unionsrecht "unmittelbar anzuwenden", nachdem die Kommission Konformität mit den EU-Vorgaben attestiert hat, ist nicht nachzuvollziehen.

Zweitens: Das BVwG ignoriert, dass das Unionsrecht selbst gerade keine UVP-Pflicht für ein Vorhaben wie das Heumarkt-Projekt anordnet. Vielmehr überlässt das Unionsrecht – in geradezu vorbildlicher Weise, was das oft beschworene Subsidiaritätsprinzip betrifft – den Mitgliedstaaten einen erheblichen Umsetzungsspielraum, den der nationale Gesetzgeber zu Recht genützt hat. Wenn sich nun ein Verwaltungsgericht darüber hinwegsetzt, macht es sich selbst zum Gesetzgeber und überschreitet damit seine Kompetenz.

Kunstgriff

Aber selbst wenn diese Vorgangsweise rechtskonform wäre, gelangt das BVwG nur durch einen zweiten Kunstgriff zur UVP-Pflicht: Der Antragsteller hatte nämlich den Antrag auf Feststellung der UVP-Pflicht vor der Entscheidung des BVwG bereits zurückgezogen. Nun ist es ein tragender Grundsatz des Verfahrensrechts, dass in einem solchen Fall das Verfahren einzustellen ist.

Zwar ist das BVwG im Recht, wenn es davon ausgeht, dass die Feststellung einer UVP-Pflicht auch durch die Behörde selbst "von Amts wegen" erfolgen kann und die Behörde hier ausnahmsweise nicht an einen konkreten Antrag gebunden ist.

Allerdings hat die Zurückziehung des Antrags im vorliegenden Fall zur Folge, dass es nach der Bundesverfassung Sache der Wiener Stadtregierung ist, die UVP-Pflicht festzustellen oder nicht. Das BVwG hat die Entscheidung der Stadtregierung zu überprüfen, aber es hat sich nicht im Beschwerdeverfahren an ihre Stelle zu setzen.

Man kann gespannt sein, wie der Verfassungs- oder der Verwaltungsgerichtshof die "Kunstgriffe" des BVwG beurteilen werden. (Peter Bußjäger, 13.5.2019)