Der Euro wird in Italien für die massive Teuerungsrate der letzten Jahre verantwortlich gemacht.

Foto: AFP/MARCO BERTORELLO

Rom – Bis vor wenigen Jahren galt Italien als eines der europafreundlichsten Länder; man war stolz darauf, dass die Gründungsurkunde der späteren EU, die EWR-Verträge, 1957 in Rom unterzeichnet wurde. Doch die Stimmung ist gekippt – und zwar nicht erst seit die beiden europaskeptisch-populistischen Parteien Lega und Fünf Sterne am Ruder sind. Schon der mehrfache liberal-konservative Premier Silvio Berlusconi schob das eigene Versagen gerne den "Brüsseler Bürokraten" in die Schuhe, und auch der Sozial demokrat Matteo Renzi machte Stimmung gegen die "Erbsenzähler" in der EU-Kommission.

Den größten Schaden angerichtet hat aber zweifellos die starre Haltung der EU-Partner in der Frage der Migration: Als an Italiens Küsten in den letzten Jahren hunderttausende Migranten ankamen, lobte man in Brüssel zwar den Einsatz der italienischen Küstenwache zur Rettung der Bootsflüchtlinge – aber bei der Forderung, diese Menschen fair auf alle EU-Mitgliedsstaaten zu verteilen, stellte man sich taub.

"Wo war Europa in diesen Jahren?"

"Wo war Europa in diesen Jahren? Wo blieb die Solidarität, die die Grundlage der Union sein müsste", fragt der Römer Augenchirurg Giosué de Ruggeri stellvertretend für die Mehrheit seiner Landsleute. Er war einst ein EU-Befürworter, aber heute würde er die Union am liebsten wieder verlassen – eigentlich: "Das endlose Brexit-Drama zeigt, dass dies wohl das noch größere Übel wäre", sagt der 48-Jährige, der eine grundlegende Reform fordert. Zuerst müsste man der Dominanz Berlins einen Riegel vorschieben, denn: "Die Einzigen, die von der EU profitieren, sind doch die Deutschen und vielleicht noch ein paar internationale Banken und Großunternehmen."

Zu den Verlierern der europäischen Integration zählt sich der Schulwart Biagio Mastrogiovanni mit seinem Nettogehalt von 1200 Euro. Der Euro habe seine Kaufkraft mehr oder weniger halbiert, sagt der 50-Jährige: "Mit dem Umwandlungskurs von 2000 Lire für einen Euro hätte ein Espresso 40 Cent kosten müssen. Er kostete aber 80 Cent. Das Einzige, was tatsächlich im Verhältnis 2000:1 umgerechnet wurde, waren die Löhne", beklagt sich Mastrogiovanni. "Von mir aus darf Italien ruhig aus dem Euro aussteigen: Ich habe ohnehin keinen Cent mehr, den ich dabei verlieren könnte."

Junge Menschen mehrheitlich proeuropäisch

Auch Handwerker sind kritisch. "Nach der EU-Erweiterung 2007 sind rund 600.000 Rumänen in Italien eingewandert. Diese arbeiten nun für einen Stundenlohn von fünf, sechs Euro und ruinieren so unsere Löhne", sagt der Spengler Mimmo Marrocco aus Lenola, südlich von Rom. Früher habe er immer noch ein paar Kunden in Rom gehabt, falls ihm in Lenola einmal die Arbeit ausgegangen sei. Das sei längst vorbei, "und Junge, die bei der Aussicht auf solche Löhne bereit sind, eine Lehre zu absolvieren, findet man auch keine mehr".

Dennoch sind gerade junge Menschen auch in Italien noch mehrheitlich proeuropäisch gestimmt. "Wenn schon, dann haben wir heute nicht zu viel Europa, sondern zu wenig", meint die Anthropologin Chiara Tomma sello aus Reggio Calabria. Die 31-Jährige studierte ein Jahr lang in Barcelona, verfasste eine preisgekrönte Forschungsarbeit zu den Migranten-Camps in Kalabrien, führt nun aber seit einigen Jahren ein Bed & Breakfast in ihrer Heimatstadt. "Die zahlreichen Probleme – angefangen bei der Migration, aber auch bezüglich der Umwelt – können wir nur gemeinsam lösen", betont die Süditalienerin.

Tommasello wird sich mit Überzeugung an der Europawahl beteiligen – und sich für solche Kandidaten entscheiden, die sich für ein soziales, friedliches und solidarisches Europa einsetzen werden. (Dominik Straub, 14.5.2019)