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Sisyphos-Arbeit in Havanna: Durch die Krise in Venezuela bleiben in Kuba Erdöllieferungen aus. Dem sozialistischen Inselstaat droht eine neue "Sonderperiode" wie nach dem Ende der Sowjetunion.

Foto: Reuters/Stringer

Kubas Twitter-Gemeinde hat ein neues Hobby: #LaColaChallenge lautet der Hashtag, unter dem Kubaner in den letzten Tagen Selfies vom Anstehen in ellenlangen Schlangen ins Netz stellen. Viel zu tun ist ja sonst nicht während der schier ewig dauernden Warterei auf ein Kilogramm Huhn oder Mehl oder ein paar Eier.

Und seit es auch in Kuba immer einfacher wird, dauernd online zu sein, wachsen die Möglichkeiten der Vernetzung. "Ich stand in einer Schlange für Speiseöl", erzählte Norges Rodríguez der Zeitung Miami Herald. "Davor war ich schon um Huhn angestanden und sechs Stunden für ein Flugticket." So begann #LaColaChallenge der Zeitung zufolge.

Traumatische Erinnerungen

Doch das launige Twitter-Spiel hat einen für die Revolutionsführung besorgniserregenden Hintergrund: Im Zuge der Wirtschaftskrise des sozialistischen Bruderlandes Venezuela breitet sich auch in Kuba die Güterknappheit wieder aus. Besorgte Kubaner fürchten schon eine erneute "Sonderperiode", wie im Parteijargon die Krise hieß, die Anfang der 1990er-Jahre nach dem Ende der Sowjetunion die Karibikinsel in eine Depression stürzte und die Wirtschaft um ein Drittel schrumpfen ließ. Diesmal gibt es Berichten oppositioneller Medien zufolge jedoch die Vorgabe, den Begriff "Sonderperiode" um jeden Preis zu vermeiden – offenbar sollen die traumatischen Erinnerungen daran ausgeblendet werden.

Kuba muss trotz fruchtbarer Böden mehr als zwei Drittel seiner Nahrungsmittel importieren und gibt dafür jährlich zwei Milliarden US-Dollar aus. Verschärft wird die Lage durch die neuen US-Sanktionen, die vor allem finanzieller Art sind. Da die Mehrheit der Lebensmittel aus den USA stammen, wird die Abwicklung des Zahlungsverkehrs komplizierter. Einige Lieferanten fürchten außerdem, auf rote Listen der US-Regierung zu kommen, wenn sie die Insel weiter beliefern. Kuba musste sich zum Teil andere Lieferanten suchen und steht nun mit über 1,5 Milliarden US-Dollar (1,3 Milliarden Euro) bei diesen in der Kreide.

Die Seife wird knapp

Am Freitag verkündete die Führung Quoten für bestimmte Hygieneprodukte wie Zahnpasta oder Seife und Nahrungsmittel. Gleichzeitig wird die Rationierungskarte – die eigentlich im Zuge der wirtschaftlichen Liberalisierung progressiv abgeschafft werden sollte – wieder ausgebaut. Eier, Reis, Bohnen, Hülsenfrüchte und Würstel, die aus der sogenannten "libreta" verschwunden waren, werden nun wieder aufgenommen, um die Abgabe zu kontrollieren. Allerdings müssen sie zu Marktpreisen bezahlt werden. Bohnen und Reis werden auf fünf Kilo pro Person und Monat beschränkt, Huhn auf zwei. Alle drei Monate gibt es ein Päckchen Wurst pro Familie. "Damit verhindern wir das Horten und die Spekulation", versprach Handelsministerin Betsy Diaz. "Wir werden die Maßnahmen der US-Regierung aushebeln."

Doch es sieht nicht gut aus für Kuba, das im letzten Jahrzehnt unter dem inzwischen in Ruhestand getretenen Raúl Castro und unter Federführung der Streitkräfte einen vorsichtigen Liberalisierungskurs eingeschlagen hatte. Die Reformen wurden vom Apparat der Kommunistischen Partei immer wieder ausgebremst, da die Funktionäre einen Machtverlust fürchteten. In dieser Übergangsphase half vor allem Venezuela der Insel. Der sozialistische Bruderstaat schickte im Austausch für kubanische Berater – die USA sprechen von Söldnern – jeden Tag rund 80.000 Fass Erdöl, die Kuba zum Teil in seinen Heizkraftwerken nützte, zum Teil auf dem Weltmarkt weiterverkaufte. Doch Venezuela steckt nun selbst in der Krise und musste die Lieferungen Experten zufolge auf 30.000 Fass pro Tag drosseln.

Krokodil und Baumratte statt Huhn

Seit Jahresbeginn kommt es wieder häufiger zu Stromausfällen; der ohnehin schon prekäre öffentliche Nahverkehr wurde reduziert. Vertreter der staatlichen Raffinerie Camilo Cienfuegos erklärten der Presse, sie müssten derzeit auf die Reserve zurückgreifen, da neue Lieferungen ausblieben.

Für Staatschef Miguel Díaz-Canel, der erst ein Jahr im Amt ist, wird dies die erste Feuerprobe. Er machte unlängst dafür "die Verschärfung des US-Embargos" verantwortlich – ein Argument, mit dem sich seine Vorgänger jahrzehntelang erfolgreich legitimierten. Veteranen wie der 91-jährige Revolutionsführer Guillermo García werben derweil in den Staatsmedien für alternative Proteinquellen, darunter Straußenfleisch, Krokodil und Baumratten. (Sandra Weiss, 14.5.2019)