Die flugunfähige Aldabra-Ralle ist in gewisser Weise von den Toten zurückgekehrt.
Foto: Charles J Sharp, CC BY-SA 4.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0)

Portsmouth – Auf dem zu den Seychellen gehörenden Aldabra-Atoll lebt die Ralle Dryolimnas cuvieri aldabranus, der möglicherweise letzte flugunfähige Vogel im Indischen Ozean. Das etwa hühnergroße Tier ist eine Unterart der Weißkehlralle, die vor allem auf Madagaskar beheimatet ist und von dort aus – im Flug – eine Reihe von Inseln kolonisiert hat. Auf Aldabra haben sich die Tiere aber buchstäblich niedergelassen.

Ausgeflogen, untergegangen

Vögel scheinen eine verblüffend stark ausgeprägte Neigung dazu zu haben, das Fliegen einzustellen, sobald es nicht mehr unbedingt notwendig ist. Das Muster hat sich viele Male wiederholt: Vögel erreichen eine abgelegene Landmasse, auf der es ausreichend Nahrung, aber keine gefährlichen Fressfeinde gibt, und bringen beizeiten flugunfähige Nachkommen hervor.

Das funktioniert allerdings nur so lange, bis eben doch Feinde auftauchen – und in historischer Zeit war das zumeist der Mensch. Binnen Jahrhunderten sind überall auf der Welt flugunfähige Vögel ausgestorben, darunter so berühmte wie der Dodo von Mauritius, die Moas von Neuseeland, der arktische Riesenalk oder die Moa-Nalos, großgewachsene flugunfähige Enten auf Hawaii.

Die verkleinerten Knochen flugunfähiger Rallen (links) neben denen ihrer flugfähigen "Quellpopulation" auf Madagaskar.
Foto: Julian Hume

Den Aldabra-Rallen war allerdings ein etwas komplizierteres und für Vögel sogar einzigartiges Schicksal beschieden, wie Forscher der Universität Portsmouth nun im "Zoological Journal of the Linnean Society" berichten. Sie studierten fossile Knochen von Rallen, die ganz denen der heute dort lebenden Tiere entsprachen – die prähistorischen Rallen konnten eindeutig nicht mehr fliegen. Irgendwann müssen Weißkehlrallen also das Atoll, das sich erst vor etwa 400.000 Jahren gebildet hat, besiedelt haben und leben dort seitdem ungestört bis heute – sollte man meinen.

Das Problem: Das Atoll gab es zwischenzeitlich nicht. Vor etwa 136.000 Jahren wurde es komplett überflutet, seine gesamte Flora und Fauna wurden dabei ausgelöscht. Erst als der Meeresspiegel im Zuge der Kaltzeit vor etwa 100.000 Jahren sank, konnte die Insel wiederbesiedelt werden – auch von Rallen. Praktisch identische Knochen flugunfähiger Rallen hat man aber sowohl aus der Zeit vor als auch der nach der Flut gefunden.

Second Edition

Dafür gibt es laut den Studienautoren Julian Hume und David Martill nur eine Erklärung: Die Evolution hat sich wiederholt. Mindestens zweimal müssen auf Aldabra Weißkehl-Rallen eingetroffen sein und anschließend genau den gleichen Entwicklungsweg eingeschlagen haben. Die Forscher sprechen von "iterativer Evolution" – dem generell sehr seltenen und bei Vögeln noch nie beobachteten Phänomen, dass zweimal hintereinander bei einer Spezies genau der gleiche Prozess abläuft. Dieser Vorgang ist so ungewöhnlich, dass sie sogar von der "Auferstehung" einer ausgestorbenen Art sprechen. (jdo, 18. 5. 2019)