Der Musiklehrer, der meine Gymnasialzeit mit den Schwankungen seiner Gesangstimme hörbar belastete (er hieß "Troubadix"), stand häufig auf verlorenem Posten.

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Es müssen unschöne Vorkommnisse sein, die einen Lehrer wie jüngst dazu veranlassen, seinen Speichel an renitente Schüler weiterzugeben. Doch auch in schulisch progressiven Zeiten wie der Ära Kreisky entlud sich pädagogischer Zorn.

Der Musiklehrer, der meine Gymnasialzeit mit den Schwankungen seiner Gesangstimme hörbar belastete (er hieß "Troubadix"), stand häufig auf verlorenem Posten. In Momenten der Hilflosigkeit nahm Troubadix sich die Hefteinbände seiner Schutzbefohlenen vor. Er verunzierte sie. Indem er sie unter Zuhilfenahme seines Bleistifts als Strichmännchen wiedergab ("Das bist du, kapiert?"), wollte er Störenfrieden deren Nichtswürdigkeit vor Augen führen.

Fachkraft am Triangel

Die Absicht war klar: Das Kümmerliche solcher Konterfeis sollte den Gemaßregelten in Gewissensqualen stürzen. Mich, den zwölfjährigen Babyboomer, erstaunte die lustvolle Hingabe eines Erwachsenen an den eigenen, regressiven Zorn. Die Rangen aber lachten nur umso herzlicher und beschossen Troubadix’ durchscheinende Segelohren mit Kugeln aus speichelnassem Papier.

Das segensreiche Wirken unseres Troubadix erschloss sich mir erst, als ich Aufnahme in das von ihm geleitete Schulorchester fand. Ich half tatkräftig mit, den Klangkörper geschmeidig zu halten. Ich schlug – nicht ohne Pfiff – das Triangel. Als mein Virtuosenstück hatte Scott Joplins "The Entertainer" zu gelten. Als Troubadix das Ensemble mit seiner misstönenden Stimme zur Konzertreife geführt hatte, ereignete sich die Katastrophe. Ausgerechnet in der Generalprobe riss das Bändchen, an dessen Schlafittchen mein Triangel hing. Keine halbe Stunde vor Konzertbeginn glaubte ich, im Erdboden versinken zu müssen. Eine Erste Violinistin nahm sich meiner an; sie versah das vermaledeite Band mit einem Knoten. Als es nun galt, dem "Entertainer" den Takt zu schlagen, da drehte sich mein Dreieck wie der Gehenkte am Galgen, den ein Windstoß erfasst.

Ich meisterte den Auftritt trotzdem. Ping! Die Eltern applaudierten sich die Finger wund, Troubadix’ Ohren strahlten wie gotische Kirchenfenster. Nur als ich ihm nachher mein Malheur zeigte, lachte er mich aus. Ich war eben nur ein Strichmännchen. (Ronald Pohl, 15.5.2019)