Mit einer Virtual-Reality-Brille kann man Schlaganfallpatienten wieder ein Gefühl von Normalität geben – und sie beim Trainieren unterstützen.

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Jeden Tag erleiden in Österreich rund 65 Personen einen Schlaganfall. Nur ein Drittel von ihnen wird wieder vollkommen gesund, an die 20 Prozent sterben. Der Rest bleibt mehr oder weniger behindert. Die Rehabilitation dauert meist lange, und die Zeit der Therapeuten für den einzelnen Patienten ist begrenzt. Um die Therapiemöglichkeiten zu verbessern, beschreiten Experten der FH Gesundheitsberufe OÖ gemeinsam mit einem österreichischen Start-up nun einen neuen Weg.

"Wir wollen neben der herkömmlichen Therapie auch Tablets und Virtual-Reality-Tools für die Reha von Schlaganfallpatienten nutzen", sagt Doris Detter-Biesl vom Studiengang Logopädie. So wurde in Kooperation mit dem Medizinprodukte-Unternehmen Rewellio etwa ein Virtual-Reality-Softwaremodul entwickelt, mit dem selbst minimalste Muskelaktivitäten des Patienten erfasst und zur Steuerung einer virtuellen Hand genutzt werden.

"Über das Virtual-Reality-Headset wird dem Patienten der Eindruck vermittelt, wieder greifen zu können", sagt Rewellio-Gründer Georg Teufl. Der praxiserprobte Physiotherapeut und Softwareentwickler weiß, wie wichtig sofortiges Feedback für Schlaganfallpatienten beim Wiedererlernen verlorener Fertigkeiten ist.

"Mit diesem Tool werden auch ganz schwache Bewegungen verstärkt, was für die Betroffenen sehr motivierend ist." Und Motivation wird dringend gebraucht, denn "je öfter eine Übung durchgeführt wird, desto schneller kann die Fähigkeit wieder erlernt werden".

Erfolgserlebnisse ermöglichen

Der Vorteil der neuen Software: Man braucht zum Üben keinen Therapeuten, der seine knapp bemessene Zeit durch diese Reha-Ergänzung für komplexere Aktivitäten mit dem Patienten nutzen kann. Da die Rehabilitation nach einem Schlaganfall meist ein mehrjähriger Prozess ist, geht es nicht zuletzt auch darum, die Patienten langfristig bei Übungslaune zu halten.

Und das geht natürlich leichter, wenn er Fortschritte sieht. "Im Rahmen einer Therapie soll sich der Schwierigkeitsgrad der Übungen schrittweise erhöhen", erklärt Doris Detter-Biesl. "Man muss den Patienten also fordern, ihm aber gleichzeitig auch Erfolgserlebnisse ermöglichen, um die Motivation zu stärken."

All diese Überlegungen und Erfahrungen sollen nun in die neue Technologie einfließen, deren komplexes Innenleben sich dezent hinter einer einfachen Benutzeroberfläche verbirgt. Neben der motorischen Reha für Hände verfügt die Software auch über spezielle Module für das Trainieren von Sprache und kognitiven Fähigkeiten.

"Indem die Übungen nicht mehr auf Zetteln, sondern mit dem Tablet gemacht werden, bekommt der Patient auch ohne Therapeut das nötige Feedback in Echtzeit", sagt Doris Detter-Biesl. "Für den Lerneffekt ist diese unmittelbare Rückmeldung von enormer Bedeutung."

Was sie an der digitalisierten Therapie begeistert, ist unter anderem die Möglichkeit, verschiedene Therapiekonzepte miteinander zu kombinieren. "Daraus ergeben sich dann auch immer wieder neue Forschungsfragen." Und die Antworten darauf fließen in die Optimierung und Erweiterung der Software ein.

Intuitive Anwendung

Wie aber geht es den "Usern" mit dem digitalen Trainingsprogramm? Immerhin sind rund 80 Prozent aller Schlaganfallpatienten über 60 Jahre alt, also nicht unbedingt vertraut mit Virtual-Reality-Headsets und Tablets. "Da die Anwendung sehr einfach ist und weitgehend intuitiv erfolgt, kommt diese Technologie überraschend gut an – auch bei älteren Patienten", sagt Teufl.

Die enge Kooperation zwischen dem Medizinprodukte-Entwickler und den Studiengängen Ergotherapie, Logopädie und Physiotherapie der FH Gesundheitsberufe OÖ garantiert einerseits das Einfließen neuester Forschungsergebnisse in die Software, andererseits die Einbindung innovativer Technologien in die Ausbildung der künftigen Therapeuten.

"Zurzeit arbeiten wir zum Beispiel an der Buchstaben-Laut-Verbindung für entsprechende digitale Übungen", berichtet Doris Detter-Biesl. Dabei muss die Software etwa erkennen, ob der Patient Buchstaben richtig zuordnet und Wörter korrekt erkennen, schreiben oder aussprechen kann.

"Durch unterschiedliche Übungsabfolgen sollen Prozesse der Wortbildung und -findung angeregt werden, wobei die häufige Wiederholung eine zentrale Rolle spielt."

Optische Rückmeldung

Um herauszufinden, in welcher Form das digitale Feedback beim Patienten am besten ankommt, werden von Rewellio möglichst viele entsprechende Daten gesammelt und ausgewertet. "Mitunter ist eine optische Rückmeldung sinnvoller als eine akustische, manchmal umgekehrt und manchmal beides", so Georg Teufl.

Damit Art, Schweregrad, Intensität und Dauer der Übungen für jeden Patienten maßgeschneidert werden können, erfasst die Software dessen Verhalten und baut das Training auf diesen Daten auf.

"Durch die Darstellung der speziellen Anforderungen im Bereich Kognition und Logopädie sowie durch die Unterstützung bei der Konzeptionierung von Patientenprofilen ermöglicht uns die FH-Expertise, an die Bedürfnisse des einzelnen Patienten angepasste Therapiekonzepte zu entwickeln", beschreibt der Jungunternehmer die fruchtbare Kooperation von Therapeuten und Softwareentwicklern.

Experten gehen davon aus, dass sich aufgrund der demografischen Entwicklung die Zahl der Schlaganfälle in den nächsten 20 Jahren verdoppeln wird. Da man eher nicht von einem vergleichbaren Wachstum der Therapeutenzahlen ausgehen kann, wird man künftig auf digitale Reha-Hilfen wohl nicht verzichten können. (Doris Griesser, 18.5.2019)