Luke O'Neill rockte nach seinem Vortrag den Festsaal im Haus der Industrie.

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Als Luke O'Neill vergangene Woche im dritten Wiener Gemeindebezirk seinen Auftritt hatte, strömte das Publikum aus zweierlei Gründen herbei: Erstens weil er im Rahmen der "Landsteiner Lecture" Erstaunliches über den Zusammenhang von Entzündungen und Krankheiten zu berichten hatte.

Wissenschaftlich erregte O'Neill vor allem durch seine Arbeiten im Bereich der sogenannten metabolischen Reprogrammierung Aufsehen – das ist die Idee, das Immunsystem über den Stoffwechsel zu steuern und auf diese Weise schädliche Entzündungsprozesse im Körper aufzuhalten. Im vergangenen Jahr wurde er von Clarivates / Thomson Reuters als einer der einflussreichsten Wissenschafter weltweit bezeichnet.

Es gab aber auch einen zweiten Grund für den Andrang zur Lecture, die vom Forschungszentrum für Molekulare Medizin (CeMM) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) veranstaltet wurde. Der Wissenschafter griff später zur Stromgitarre – und rockte mit seiner Band den Festsaal im Haus der Industrie.

STANDARD: Bevor wir über die Wissenschaft sprechen: Wie lief der Auftritt mit Ihrer Band?

Luke O'Neill: Großartig, es war surreal, dass wir alle nun in Wien auf einer Bühne standen! Sie müssen wissen: Eigentlich sind wir ja so eine Art Partyband, wir wollen die Leute zum Tanzen bringen, das ist unser Ziel.

STANDARD: Mit welcher Musik?

O'Neill: Vor allem Coverversionen. Vieles von dem, was wir spielen, ist eher obskur. Wichtig ist, dass es Rhythmus hat. Aber es sind auch ein paar bekanntere Sachen dabei, zum Beispiel die Dexys Midnight Runners oder Use me von Bill Withers.

STANDARD: Warum heißt die Band Metabollix?

O'Neill: Wir haben sie erst vor zwei Jahren gegründet, bei einem Metabolismus-Fachkongress. Im Namen ist auch ein kleiner Witz versteckt: "Bollix" ist nämlich ein Slangwort für Hoden.

STANDARD: Die Band besteht aus Wissenschaftern?

O'Neill: Größtenteils ja. Unser Drummer ist Neurologe, dann haben wir noch einen Biochemiker und einen Intensivmediziner in der Band.

STANDARD: Haben Sie je daran gedacht, Musiker zu werden?

O'Neill: Als ich meinen Postdoc machte, bekam ich das Angebot, mit einer bekannten britischen Folk-Band auf Tour zu gehen. Ich lehnte ab. Die Wissenschaft war immer meine erste Leidenschaft. Manchmal frage ich mich: Was wäre passiert, wenn ich das Angebot angenommen hätte? Und dann sage ich mir: Das Leben als Rockstar ist auch nicht so einfach.

STANDARD: Wissenschaftlich haben Sie sich vor allem mit dem Zusammenhang von Entzündungen und Krankheiten beschäftigt: An sich sind Entzündungen ja etwas Nützliches, oder?

O'Neill: Natürlich, aber es kann dabei auch etwas schiefgehen. Das weiß man im Grunde seit dem 18. Jahrhundert. John Hunter, der Begründer der wissenschaftlichen Chirurgie, hat im Jahr 1790 ein Buch geschrieben, darin steht der Satz: Entzündungen sind dazu da, um Schäden im Körper zu reparieren – aber wenn sie dieses Ziel nicht erreichen, geraten sie außer Kontrolle. Heute wissen wir: Das passiert überall im Körper, Entzündungen sind an den allermeisten Krankheiten beteiligt. Zum Beispiel Schizophrenie. Das ist eine sehr seltsame Krankheit, die Patienten hören Stimmen, sie haben mentale Probleme – genetische Analysen zeigen uns, dass eine Verbindung zu Entzündungen besteht. Das Gleiche gilt für Parkinson und Alzheimer.

STANDARD: Wenn Entzündungen überlebenswichtig sind – wie ist es möglich, dass so viel schiefläuft?

O'Neill: Das ist die Schlüsselfrage. Wir wissen es nicht. Sie haben recht, Entzündungen sind für das Leben essenziell, unser Körper muss dauernd Verletzungen reparieren und Infektionen bekämpfen. Im Übrigen gilt das nicht nur für uns Menschen, Entzündungen gibt es bei allen Organismen, bei Säugetieren, Insekten, sogar bei Pflanzen. Eine Antwort auf ihre Frage könnte sein: Viele von den Krankheiten, die durch Entzündungen ausgelöst werden, treten erst in höherem Alter auf. Sie beeinflussen nicht unbedingt, wie viele Kinder man bekommt. Und deswegen war es der Evolution egal. Es gab keine Notwendigkeit, das Problem loszuwerden.

STANDARD: Es gibt Hinweise, dass auch Übergewicht chronische Entzündungen auslöst?

O'Neill: So ist es, der Körper versucht, das überschüssige Fett loszuwerden, und aktiviert das Immunsystem. Die Folgen sind Nierenschäden und Herzinfarkte. Letztes Jahr hat eine Studie erstmals nachgewiesen: Wenn man chronische Entzündungen mithilfe von Medikamenten stoppt, dann sinkt das Herzinfarktrisiko.

STANDARD: Welche Medikamente würden sich für Therapien anbieten?

O'Neill: Es gibt viele entzündungshemmende Medikamente, zum Beispiel Aspirin, Paracetamol oder Ibuprofen. Die funktionieren gut, wenn Sie Kopfweh haben oder sich den Knöchel verstauchen. Das Problem ist: Für therapeutische Zwecke sind sie nicht wirksam genug, sie setzen oft an der falschen Stelle in der molekularen Wirkungskette an – und sie haben unerwünschte Nebenwirkungen. Wir brauchen also neue, präzisere Wirkstoffe. Das ist das Thema meiner Forschung: Wir versuchen, Ansatzstellen zu finden, mit deren Hilfe man ganz spezifisch eingreifen kann.

STANDARD: Zum Beispiel?

O'Neill: Einer der Hauptschalter bei der Entstehung von Entzündungen ist das Protein NLRP3. Versuche an Mäusen zeigen: Durch die Blockade dieses Schalters kann man Alzheimer behandeln. Ein anderer interessanter Punkt ist die Frage: Wie verbraucht das Immunsystem Energie? Der Stoffwechsel des überaktiven Immunsystems ist nämlich verändert – könnte man diesen Vorgang steuern, hätte das ebenfalls Potenzial für Therapien. Wir arbeiten daran.

STANDARD: Worum genau geht es in der Wissenschaft im Vergleich zur Musik?

O'Neill: In der Wissenschaft geht es immer um Innovation, um neue Entdeckungen, neue Technologien. In der Musik ist es schwierig, dauernd innovativ zu sein. Sicher, wenn Sie Chuck Berry mit Beethoven vergleichen, ist das schon ein Unterschied. Im Rock sind wir jedenfalls ein bisschen begrenzt: Da gibt es drei, vier Akkorde, dazu Gitarre, Drums und Keyboard.

STANDARD: Gibt es auch Abgrenzung und Provokation in der Wissenschaft – wie in der Musik?

O'Neill: Vielleicht äußern sich junge Forscher kontroversiell oder bisweilen provokant, um gehört zu werden. In der Wissenschaft gibt es einen Fortschritt – in der Musik brauchen wir das nicht: Es geht um den Genuss. (Robert Czepel, 19.5.2019)