Du lebst, wenn dein Herz rast, meint unsere Kolumnistin Ela Angerer.

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In Zeiten von Datingapps appellieren Therapeuten gerne an unser erwachsenes Ich. "Die Liebe kommt nach zehn Jahren", behauptete die Generation unserer Großeltern. Moderne Experten predigen das jetzt auch: "Lass dich mal auf jemanden ein, mit dem die Sache ein bisschen ruhiger angeht", rät etwa die Psychologin und Bestsellerautorin Stefanie Stahl. Und: "Behalte den Verstand mit im Boot."

Nerven für Amore

Das ist natürlich gut gemeint. All die Klienten – von Netflix und Youporn hinreichend verwirrt – müssen ja wieder auf Spur gebracht werden.

"Beziehungen sind kein Wunschkonzert, sondern ein Geben und Nehmen." Wer solche Sätze verinnerlicht, wird möglicherweise zum verlässlichen Bürokollegen, Nachbarn und Verwandten. Bloß, weiterbringen in Sachen Amore tut ihn das nicht.

"Wenn es nicht mit einem Knall losgeht, dann kann ich mir den Rest eigentlich auch gleich sparen", behauptet mein Freund, der attraktive Musikproduzent. Ich tendiere stark zu seinem Klub – allen Gesprächstherapien und Lebenshilfebüchern zum Trotz. Auch meine Lieblingswirtin glaubt: "Was dabei herauskommt, wenn Paare wegen Kindern, Immobilien oder gemeinsamer Haustiere zusammenbleiben, sieht man ja: kaum Gespräche und null Sex."

Jemanden zuerst in aller Ruhe kennenlernen – schlafen einem nicht schon beim Gedanken daran die Füße ein? Mir persönlich fehlt leider die Geduld, zuerst angeschnallt und mit Airbag durch die Gegend zu fahren. Theoretisch sicher grundvernünftig, hundert Stunden Ouvertüre in Form von Wandern, Kochen, Chorsingen und das Gegenüber auf gemeinsame Werte abklopfen – mein inneres, hoffnungslos romantisches Kind ist für so viel Sachlichkeit leider nicht gebaut.

Kein Geschäftsmodell

Die Liebe ist nun einmal kein Geschäftsmodell, kein Produkt, das umso besser funktioniert, je mehr man es optimiert. Da kann man den Vorgarten oder die Intimzone noch so lange trimmen.

Wenn der Blitz einschlägt, dann moderiert er das nicht nervenschonend an. Er kommt, weil er kommen muss, ohne Vorankündigung. Praktisch ist das selten. Vernünftig nie. Wir werden uns die Zeit zwischen zwei Ehen, Liebschaften und Affären weiterhin mit Ratgebern, Atemübungen oder Horoskopen vertreiben. Und bei nächster Gelegenheit, drin im Boot, wirft man den Verstand erneut über Bord.

"Man sollte immer wieder nach dem Idealfall suchen", glaubt auch mein Freund, der Musikproduzent. "Selbst wenn man ihn nie trifft, hat man zumindest sein ganzes Leben mit klopfendem Herzen danach gesucht."

Gut möglich, dass der Sinn des Lebens genau darin besteht: sich zu spüren. (Ela Angerer, RONDO, 22.5.2019)