Eine Stadtseilbahn entlang der Mur soll vom Grazer Norden bis zu den Freizeitseen im Süden geführt werden. Planungen laufen bereits.

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Die künftigen Haltestellen im Überblick.

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Das Gebimmel der Tram, die in den Grazer Hauptplatz einbiegt, dringt bis herauf durchs offene Fenster ins Bürgermeisterzimmer. Siegfried Nagl, ein drahtiger Mittfünfziger, lässt sich in den biederen Polsterfauteuil, dem der Chic der 1960er-Jahre anhaftet, fallen: "Das Schlimmste im Politikerdasein ist wirklich die Fremdbestimmtheit", sagt Nagl. 280 Termine habe er in den nächsten Monaten im Kalender stehen. Da müsse er brutal streichen.

Die Kontakte seien für ihn als Politiker zwar essenziell, lieber denke er aber an große Entwürfe, an Visionen für die steirische Landeshauptstadt. "Aber dafür werde ich regelmäßig von der Opposition geprügelt", klagt der ÖVP-Bürgermeister im Gespräch mit dem Standard. Im Stakkato hat Nagl in den letzten Jahren mit Stadtvisionen für allgemeine Erregung in der Stadt gesorgt. Von einer Gondel entlang der Mur war die Rede, die den Nord-Süd-Verkehr der Stadt entlasten und den Einpendlern vom Norden eine Alternative bieten soll. Diese Stadtseilbahn soll bis hinunter zu den Freizeitseen am Stadtrand führen. Die Mur soll inmitten der Stadt zur Sport- und Freizeitzone werden. Zuletzt träumte Nagl von einer U-Bahn vom Westen der Stadt in den Osten, die die beiden Klinik- und Unistandorte verbinden soll.

"Wir werden alles umsetzen"

Nagl meint es tatsächlich ernst: "Wir sind dran und werden all diese Projekte auch sicher umsetzen, eine Projektgruppe ist schon konkret am Planen." Nagl träumt von einer Landeshauptstadt, die – nach den Einbußen im Fremdenverkehr – neben Wien und Salzburg endlich international aufzeigen soll. "Wien, das ist die Metropole, Sissi, der Kaiser, Fiaker. Salzburg ist die Festspielstadt. Dann bleibt Graz. Unsere Stadt darf verrückt, sein wie Berlin. In Graz darfst du was ausprobieren, in Graz ist das Leben künstlerisch-experimentell, weltoffen, wir wollen mit unseren Unis die jüngste und modernste Stadt Österreichs sein", schwärmt Nagl. Die Opposition reagiert auf Nagls Visionen einhellig: unfinanzierbar, schlicht ein wenig größenwahnsinnig. Nagl grollt: "Wenn du heute als Politiker was vorschlägst, wirst sofort niedergemacht."

Wie aber passt das moderne Zukunftsbild von Graz, das er gerne malen würde, mit dem xenophoben und historisch rückwärtsgewandten Politikverständnis seines Koalitionspartners FPÖ zusammen? "Ich habe jetzt so ziemlich alle politischen Farben in einer Koalition durch und ich habe mich dabei auch verändert. Jetzt ist es eben eine schwarz-blaue Koalition, weil sich keine andere mehr aufgetan hat. Aber natürlich war für mich jetzt klar, wenn FPÖ-Vizebürgermeister Eustacchio keine klaren Worte einer Abgrenzung zu den Identitären findet, hätte ich die Koalition aufgelöst."

Die "schwarze" ÖVP lebt

Die ganz Debatte um extreme Rechte "wirft uns international zurück, das tut weh". Er mache sich "große Sorgen um die Reputation im Ausland". Aber auch um die "Verrohung der Sprache in der Politik", die mit dem Populismus einhergehe. "Es geht nur noch um die schnelle Reaktion, das schnelle Schießen auf den politischen Gegner." Konsensuale Politik habe momentan "leider keine Chance".

Anders als seine türkise Bundespartei will Nagl an der Sozialpartnerschaft festhalten. "Ich finde es nicht gut, sie völlig hinauszukicken. Ich als alter Wirtschaftskämmerer halte viel von der Sozialpartnerschaft und lebe sie auch", sagt Nagl. Trotz neuer türkiser Farbgebung seiner Partei gebe es sie ja noch, die alten schwarzen Refugien in der ÖVP. "Wir waren und sind eine breite Bewegung. Es hat in der ÖVP immer Personen gegeben, die lieber eine Koalition mit den Blauen eingehen, und andere, die lieber eine schwarz-rote Zusammenarbeit wollen oder eine schwarz-rot-grüne."

Er werde in der Stadtpolitik trotz Koalition mit der FPÖ "haarscharf darauf achten, dass die ÖVP in der Mitte bleibt". Gleiches hoffe und erwarte er sich auch von Kanzler Sebastian Kurz. (Walter Müller, 15.5.2019)