Qual der Wahl bei der EU-Wahl. Digitale Wahlhelfer können helfen.

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Am Sonntag steigt in Österreich die Europawahl.

Ein Journalist sollte ja eigentlich keinen banalen Einstieg wählen. Aber so ganz banal ist obiger Satz nicht in Zeiten wie diesen, vielmehr eine sinnvolle Erinnerung. Denn die Europawahl ist seit der Ibiza-Affäre nur noch eine Randnotiz, europäische Sachfragen erst recht.

Das macht es dem unentschlossenen Wähler mitunter schwer, eine Entscheidung zu treffen. Immerhin ist die Auswahl groß, sieben Partien treten an: Die ÖVP, SPÖ, FPÖ, Grünen, NEOS, KPÖ und Europa Jetzt.

In diesem Fall können digitale Wahlhelfer den Entscheidungsprozess voranbringen. Ihr Aufbau ist meist ähnlich: Dem potentiellen Wähler werden Fragen zu aktuellen europapolitschen Themen gestellt. Die Antworten werden dann mit den Positionen der Parteien verglichen. Am Ende kommt heraus, mit welcher Partei der Wähler die meisten Übereinstimmungen hat.

Der STANDARD stellt kurz vor der Wahl drei Wahlhelfer vor:

In Österreich wohl der berühmteste Wahlhelfer, weil seit über 15 Jahren im Geschäft. 25 europapolitische Fragen werden gestellt. Der User kann zwischen drei Antworten wählen: Ja, Nein und keine Angabe. Zusätzlich muss er noch eine Gewichtung vornehmen. Wie unwichtig (1 Punkt) bis wichtig (9 Punkte) ist ihm dieses Thema?

Fachbegriffe werden gesondert erklärt (Sozialpartnerschaft, Rückreisezertifikate,...), zudem steht ein Glossar zur Verfügung. Beantwortet man am Ende alle Fragen, scheint auf, wie weit der eigene Standpunkt mit jenen der Parteien übereinstimmt (Pluswert) bzw. von ihnen distanziert (Minuswert) ist. Dabei sieht man auch weitergehende Erklärungen der Parteien zu ihren Positionen.

Eine Frage der Wahlkabine.
Foto: Screenshot/Wahlkabine

15 Leute haben die Fragen zusammengestellt, eine Mischung aus Politik-Journalisten und –Wissenschaftern. Über 100 Fragen bildeten die Ausgangslage, davon wurden 40 an die Parteien geschickt. Nach deren Antworten wurde das Set auf 25 reduziert. Wichtig: Die Redaktion legte dabei die letztendlich im Tool sichtbaren Parteien-Standpunkte fest und berücksichtigte dafür neben den Parteien-Antworten auch andere Quellen (Artikel, Websites und politische Statements der jüngeren Vergangenheit).

Überspitzt formuliert: Die Tinder-App für Politikfragen. Der User wischt bei den 35 Fragen entweder nach rechts für Ja oder links für Nein. Überspringen klappt auch, doppelt gewichten ebenso. Dann gibt es zwei Punkte für eine Übereinstimmung, ansonsten jeweils nur einen.

Die Auswertung zeigt letztlich "die Prozentangabe an, wie sehr der User mit den Antworten der Parteien übereinstimmt", so die Homepage. Zudem gibt’s auch Einblick in nähere Ausführungen der Politiker.

Eine Frage auf Voteswiper.
Foto: Screenshot/voteswiper.org

Ein besonderes Schmankerl: Die App ist länderübergreifend, existiert auch für Deutschland, Schweden, Finnland und Frankreich. Als Österreicher kann man also herausfinden, mit welchen Parteien man im Ausland übereinstimmt. So gibt es 30 identische, also die ganze EU betreffende Fragen. Die restlichen fünf sind länderspezifisch.

Ein Team aus "Journalisten, Politik-Studenten, App-Entwicklern, Grafikern, Freiwilligen und Videoproduzenten". hat das Tool entwickelt. Für die österreichischen Fragen ist eine Gruppe der Universität Salzburg unter Leitung der beiden Europaexperten Michael Blauberger und Eric Miklin verantwortlich.

Von fünf europäischen Organisationen kreiert, darunter die Macher von Votewatch. Dies ist eine in Brüssel stationierte, laut Website "unparteiische, gemeinnützige Organisation", die seit 2009 das Abstimmungsverhalten der EU-Parlamentarier auswertet und transparent publiziert. Und das ist auch das Besondere an diesem Wahlhelfer: Der User erfährt gleich, mit welchem der 751 EU-Abgeordneten die eigene Meinung am meisten übereinstimmt. Zusätzlich kann freilich auch klassisch mit Parteien verglichen werden.

Eine Frage auf yourvotematters.
Foto: screenshot/yourvotematters

Damit dies möglich ist, dienen als Grundlage 25 in der letzten Legislaturperiode tatsächlich im EU-Parlament vorgebrachte Anliegen. Für diese kann man dafür oder dagegen sein beziehungsweise sich enthalten. Außerdem kann mit einem bis drei Rufzeichen angegeben werden, wie sehr einem das Thema am Herzen liegt.

Nützlich ist, dass unter jeder Frage Argumente pro und contra aufgezählt sind. Der Leser kann sich somit vor der Beantwortung nochmals eine Meinung bilden. Yourvotematters verzichtet jedoch bei der Auswertung auf die KPÖ und Europa jetzt. Laut Votewatch hätte aber jede nicht im EU-Parlament vertretene Partei die Option gehabt, ihre Positionen einzusenden und damit integriert zu werden.

Die Inhalte

Inhaltlich überschneiden sich freilich die abgefragten Themen aller drei Wahlhelfer. Die Methode von Wahlkabine.at bietet den Österreich-spezifischsten Zugang und neben EU-Grundsatzfragen (Wahlmodi, Russland-Sanktionen,...) ein Potpourri aus unter anderem Minderheitenschutz, Sozialem, Wirtschaft und Umwelt. Vier Fragen gelten der Flüchtlingsdebatte.

Voteswiper bietet das größte Fragenrepertoire (35). Da 30 davon aber auch für die App in anderen Ländern verwendet werden, fällt auf, dass es vor allem um allgemeine EU-Angelegenheiten (Kompetenzen, EU als Bundesstaat, Wahlmodi,...) geht. Wie soll das Konstrukt EU zukünftig ausschauen? Auch die Beziehungen zu China, Russland und der Türkei werden diskutiert. Aus österreichischer Sicht jene zu Südtirol.

Yourvotematters wirkt ausgeglichen. Die Fragen richten sich unter anderem an die Folgen der Digitalisierung (Roboter, Datenschutz,...). Auch die Außenpolitik (EU-Armee, USA, Russland, China und Israel) wird abgedeckt.

Regierungskrise kein Thema

Alle drei Wahlhelfer haben gemeinsam, dass die Regierungskrise in Österreich kein Thema ist. Die Fragen sind lange davor zusammengestellt werden, neue würden die Methodik verfälschen.

Miklin von Voteswiper sagt zudem: "Eine Frage einzufügen, ob jemand für oder gegen illegale Parteienfinanzierung oder Orban'sche Medienkontrolle ist, würde wohl wenig Unterschiede bei den (zumindest offiziellen) Parteiantworten und in der Bevölkerung liefern".

Die Hebung der Wahlbeteiligung sei ja das eigentliche Ziel solcher Tools, meint Miklin auf STANDARD-Anfrage. Und dafür liefern die Fragen noch eine gute Orientierung für die Europawahl. "Insofern könnte man sogar sagen, dass der Voteswiper und ähnliche Tools jetzt wichtiger sind als davor. Denn sie dienen dazu zu sehen, welche Partei denn nun die ‘zweitbeste' Option wäre, und können so dazu beitragen, dass die Person nicht einfach frustriert zuhause bleibt, sondern trotzdem zur Wahl geht".

Entscheidung in Wahlkabine

Dass letztlich Themenspektrum und Fragestellungen bei allen drei Wahlhelfern zumindest ähnlich sind, deutet ein Test an: Beantwortet man alle Fragen mit Ja, stimmt man immer mit der SPÖ am meisten überein.

Wichtig ist jedoch der Hinweis: Die Wahlhelfer können dem Wähler die eigene politische Einstellung bewusster machen und damit die Entscheidung etwas erleichtern, aber sie keinesfalls abnehmen. In der Wahlkabine muss der Wähler schließlich selbst entscheiden, welcher Partei er seine kostbare Stimme gibt. (Andreas Gstaltmeyr, 25.5.2019)