Auch in Deutschland unterstützen zahlreiche Privatpersonen die rechtsextreme Identitäre Bewegung.

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Über zu wenig Unterstützung kann sich Martin Sellner, Chef der rechtsextremen Identitären Bewegung Österreich, nicht beklagen. Täglich gehen auf seinen Konten Spenden ein, die von 2,50 Euro bis hin zu knapp 2.000 Euro reichen. Das zeigen Recherchen von STANDARD und "Süddeutscher Zeitung", NDR und WDR, die Einblicke in Auszüge zweier deutscher Konten der rechtsextremen Galionsfigur erhalten haben.

Die Kontoaktivitäten, die für das Frühjahr 2018 vorliegen, zeigen, dass es durchaus die von den Identitären oft beschworenen "Kleinspender" gibt. Mehr als die Hälfte der Zuwendungen betragen weniger als 50 Euro. Die Namen der Spender zeigen vor allem eines: Sellner erreicht ein überaus diverses Publikum.

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Angestellte, Ärzte und Anwälte, aber auch Professoren deutscher Universitäten, Angehörige des Reservistenverbands und Polizeibeamte unterstützen die Identitären finanziell. Die meisten Unterstützer bedanken sich bei Sellner für seine rechtsextremen Umtriebe oder schicken ihm "Solidarität". Viele von ihnen replizieren auf Sellners Videoblog, wo er regelmäßig um Zuwendungen bittet. Als ihm im vergangenen Jahr zweimal die Einreise nach Großbritannien verweigert wurde, erreichten ihn besonders viele Spenden. Einige Unterstützer sahen sich bestätigt: Großbritannien sei "totalitär" und "korrupt", Sellner ihr "Anwalt der Meinungsfreiheit".

Bekannte Rechtsextreme als Spender

Auch bekannte Rechtsextreme, darunter ein schon wegen Sprengstoffdelikten verurteilter NPD-Kandidat, spendeten für Sellner. Immer wieder finden sich lokale Funktionäre der deutschen AfD auf der Liste. Außerdem spendeten mehrere Dutzend Österreicher an Sellners deutsches Konto. Darunter: Lehrer, Universitätsmitarbeiter und jemand, der zumindest so heißt wie ein Gemeinderat der FPÖ – der die Spende auf Anfrage des STANDARD aber abstreitet. Schon auf der Liste von Spendern auf Sellners österreichisches Konto waren FPÖ-Lokalpolitiker aufgetaucht. Wie die APA berichtete, spendete laut einem Dankesmail von Sellner auch ein Mitarbeiter im Sozialministerium.

Sellner: "Persönlich versteuert"

Ferner lassen die Einnahmen aus diesen Konten vermuten, dass nicht allen Aussagen Sellners zu glauben sind. In seiner Vernehmung schätzt Sellner den monatlichen Ertrag auf nur 3.000 Euro. Die Kontobewegungen zeigen jedoch, dass Sellner in nur etwas mehr als zwei Monaten mehr als 20.000 Euro Spendengelder erreichten, also knapp 9.000 Euro monatlich. In Summe dürfte Sellner fünfstellige Beträge pro Monat einnehmen: Neben den österreichischen und deutschen Konten gibt es noch weitere Bankverbindungen in zumindest vier europäischen Ländern.

Auf Nachfrage kann Sellner nicht abschätzen, welchen prozentuellen Anteil jeweils deutsche und österreichische Spender an seinen Einnahmen ausmachen. Er sagt: "Diese Konten laufen auf den Namen Martin Sellner, sind daher auch persönlich versteuert und fallen nicht unter die Gemeinnützigkeit der Vereine." Die Spendengelder dienten "zur Finanzierung von Aktivismus, Reisekosten, Materialkosten, von Projekten wie Patriot Peer, sowie immer häufiger der Bestreitung von Anwaltskosten". Finanzielle Verflechtungen zwischen der deutschen und der österreichischen Identitären Bewegung gibt es laut Sellner nicht, die Konten liefen separat.

Die österreichischen Behörden ermitteln momentan, ob die Identitäre Bewegung Abgaben im Wert von deutlich mehr als 100.000 Euro hinterzogen hat. Die Staatsanwaltschaft Graz bestätigte schon Ende April Ermittlungen gegen 22 Personen und vier Verbände. "Alle Anschuldigungen bezüglich Steuerhinterziehung und Geldwäsche entbehren jeglicher Grundlage und dienen ausschließliche der Diffamierung unserer Bewegung", sagt Sellner.

"Noch ein langer Weg bis zum Sieg"

Juristische Probleme hat Sellner wegen eines weiteren Großspenders: Er erhielt im Jänner 2018 rund 1.500 Euro von dem späteren mutmaßlichen Attentäter B. T., der im März 2019 in Neuseeland über fünfzig betende Muslime erschoss. Der Spende folgte auch ein E-Mail-Verkehr zwischen Sellner und T.: "Ich möchte dir persönlich für deine unglaubliche Spende danken", schrieb Sellner. Er sei "wirklich überrascht und begeistert".

"Das hier ist meine persönliche E-Mail-Adresse – kontaktiere mich jederzeit, wenn du willst", so Sellner. Daraus entwickelt sich ein kurzer E-Mail-Verlauf zwischen Sellner und dem mutmaßlichen späteren Rechtsterroristen T., über den die "Zib 2" am Mittwochabend berichtete. Zu seiner Spende schreibt T. an Sellner, dass es nur "ein kleiner Betrag im Vergleich zu der vielen Arbeit, die du leistest", sei. "Du wirst von Menschen auf der ganzen Welt unterstützt", so T., und: "Es ist noch ein langer Weg bis zum Sieg, aber jeden Tag werden unsere Leute stärker."

"Energie und Motivation"

T.s Worte, so schreibt Sellner zurück, gäben ihm "wirklich Energie und Motivation". "Wenn du je nach Wien kommst, müssen wir auf einen Kaffee oder ein Bier gehen." Die Einladung wird erwidert. "Das gilt auch für dich, wenn du je Australien oder Neuseeland besuchst", antwortet T. dem Wiener Rechtsextremisten. Fakt ist, dass T. in den Monaten darauf mehrere Tage in Österreich verbringt – und einen Tag nach dem letzten E-Mail-Kontakt zwischen Sellner, T. "und anderen" online ein Mietauto in Österreich reserviert. Deshalb untersuchen Ermittler nun mit Hochdruck, ob es zu einem Treffen zwischen Sellner und dem späteren Terroristen gekommen ist. Sellner bestreitet das vehement. In seiner Beschuldigtenvernehmung gibt er an, T. nicht persönlich zu kennen.

Dieser scheine auch in "keiner Mitgliederliste" der Identitären auf – ein interessanter Satz, bestritt die Identitäre Bewegung doch unlängst, dass es so etwas wie eine Mitgliederliste überhaupt gebe.

Ermittler bleiben misstrauisch

Doch die Ermittler bleiben nach wie vor misstrauisch. So meldete Sellner die Spende des mutmaßlichen Attentäters nicht an die Behörden, angeblich weil er spontan erkrankt gewesen sei, nachdem sie ihm kurz nach dem Terroranschlag aufgefallen war. Außerdem löschte Sellner den E-Mail-Verlauf mit T., fertigte zuvor allerdings Screenshots an. Hinzu kommt, dass Beamte bei der Hausdurchsuchung in Sellners Wohnung ein Zweithandy in einem Blumentopf fanden. Die Smartphones von Sellner und einem weiteren Aktivisten werden nun bei der Firma Cellebrite geknackt.

Laut Ermittlungsakten ist T.s Reiseroute in Österreich nicht so einfach nachzuvollziehen, da die von ihm gemieteten Autos über kein Navigationsgerät verfügten. Sellner gibt an, T. weder physisch getroffen noch später weiteren Kontakt mit ihm gehabt zu haben. T.s großzügige Spende an Sellner, die im Zuge einer Finanzprüfung durch Ermittler entdeckt worden ist, löste bei den Behörden hektische Betriebsamkeit auf.

Gegen Sellner laufen nun Terrorermittlungen. Im Akt heißt es, dass Sellner "dringend tatverdächtig" sei, "nach gegenwärtigem Erkenntnisstand Mitglied eines, bis dato nicht näher verifizierbaren international agierenden rechtsextremen Netzwerks zu sein". Zum STANDARD sagt Sellner, er habe die E-Mails gelöscht, da er "die Kontaktdaten eines Terroristen nicht in meinem E-Mail-Postfach haben möchte", er habe sie jedoch zur Dokumentation gespeichert. "Selbstverständlich war das kein Akt der Verschleierung", so Sellner. (Fabian Schmid, Laurin Lorenz, 15.5.2019)