Anna Netrebko sorgte für Jubel, einmal mehr.

apap / punz

Sie ist da, und alles ist gut. Die Zeit steht still. Verhärtete Herzen werden weich, verkniffene Mienen lernen wieder zu lächeln. Anna Netrebko ist, warum auch immer, die wohltuendste Sängerin der Welt.

Um das prominente Medikament herum, im großen Musikvereinsaal: das Mariinsky Orchester und Valery Gergiev. Wohlklangsumhegung, festliche Tischdekoration für ein dreigängiges Arienmenü: Straff und nobel interpretierte Verdi-Ouvertüren umkränzen die vokalen Speisen. Als Mozart-Sängerin hat Netrebko bei Gergiev am Mariinsky Theater in St. Petersburg begonnen. Zweieinhalb Berufsjahrzehnte haben ihre Stimme dichter, fülliger gemacht, reif für Verdi.

Wie Nougat

Die Vorspeise: La luce langue, Arie der Lady Macbeth. Vertrautes Terrain statt Neuland: Eigentlich wäre hier eine Arie der Abigail aus Nabucco geplant gewesen. Netrebko ist keine Lady Macbeth, vor der man sich fürchtet, die 47-Jährige serviert edelsten Wohlklang in einem Ambitus von zwei Oktaven. Ihr Sopran ist wie glänzender dunkler Nougat.

Der Hauptgang: Ritorna vincitor!, Arie der Aida, in Salzburg und New York erprobt. Auf Dramatik folgt Flehen, das weite Feld der Dynamik wird ausgelotet. Qualen und Verzweiflung in klingende Schönheit zu verwandeln ist der Job der Kunst, und Netrebko beherrscht diesen Job wie kaum eine Zweite.

Das Dessert: Pace, pace, mio Dio, Arie der Leonora aus La forza del destino. Wie eine Perle lässt Netrebko ein zweigestrichenes b eine Ewigkeit lang im Saal schweben – und entschwebt dann selbst. Die Rezeption von Strawinskys Feuervogel-Suite erhält durch ihre Abwesenheit eine melancholische Prägung. Jubel. (Stefan Ender, 15.5.2019)