Noch immer, trotz der schrittweisen Eskalation seit Wochen, rechnet kaum jemand mit einem amerikanisch-iranischen Krieg nach klassischem Muster. Es fehlt nicht nur ein militärisches Konzept, sondern auch, trotz aller Regime-Change-Fantasien in Washington, die politische Langzeitperspektive. Aber einen schleichenden Konflikt am Golf gibt es längst, und es ist eine Frage der Zeit, bis in dieser neuen Phase nicht nur Material, sondern auch Menschen zu Schaden kommen. Und dann droht eine ungewollte – oder nur von wenigen gewollte – Eskalation.

US-Präsident Donald Trump selbst dementiert die Existenz oder Relevanz der Aufmarschpläne für 120.000 US-Soldaten in der Region, die sein Sicherheitsberater John Bolton, der offen die Konfrontation mit Teheran betreibt, in Auftrag gegeben haben soll. Manche Insider wollen sogar wissen, dass Boltons Kopf wackelt. Aber Bolton jetzt zu entlassen würde die gesamte US-Strategie des "maximalen Drucks" gegen den Iran infrage stellen, wäre also aus US-Perspektive ein Fehler.

Druck und Gegendruck

Der Iran antwortet mit Gegendruck. Die Aufkündigung von im Atomdeal festgelegten Quantitätsbeschränkungen bei Uran und Schwerwasser ist erst einmal von keiner sofortigen Konsequenz – auch wenn das die Iran-Falken anders darstellen werden. Allein ist das jedenfalls kein glaubhaft zu argumentierender Angriffsgrund.

Bei den sich häufenden Sabotageakten am Golf ist das schon anders. Sie haben bisher vor allem Saudi-Arabien getroffen, aber der am Mittwoch verkündete Abzug von nicht unbedingt notwendigem US-Personal aus dem Irak soll zeigen, dass die USA selbst mit Angriffen von Iran-Stellvertretergruppen rechnen. Wie viel Wahrheit und wie viel Propaganda in diesen Warnungen stecken, darüber gehen auch die Meinungen in den USA auseinander. Und ein hoher britischer General in der Region bestreitet überhaupt, dass die Bedrohung durch Iran-unterstützte Milizen im Irak und in Syrien größer geworden sei.

Der Eindruck ist, dass beide Seiten – der Iran und die USA – nicht vor und nicht zurück können. Die iranische Wirtschaft ist durch die neuen US-Sanktionen schwer angeschlagen, die Menschen verzweifelt. Und das würde sich auch nicht ändern, wenn der Iran in einem Atomabkommen bleibt, das es eigentlich nicht mehr gibt. Und Washington verlangt eine Kapitulation, die sich nicht abzeichnet, und hat keinen Plan B, falls sie überhaupt nicht kommt. (Gudrun Harrer, 15.5.2019)