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Bundeskanzler Sebastian Kurz liegt in vielen Umfragen weit vorne.

Foto: AP Photo/Andreea Alexandru

Als Sebastian Kurz am 20. Dezember 2017 seine Regierungserklärung im Nationalrat hielt, fand das auch international Beachtung: Hier stand der jüngste Bundeskanzler in der Geschichte Österreichs, der Jüngste unter den Regierungschefs in Europa. Er hatte die Wahl fulminant gewonnen und es gewagt, eine Koalition mit einem rechtsnationalen Partner einzugehen, der zwar im Inland bei vielen Wählern beliebt ist, aber außenpolitisch großes Misstrauen hervorruft. Der neue Bundeskanzler strahlte Zuversicht aus, er sprach von Veränderung, die auch Hoffnung bergen könne – und er warb um das Vertrauen aller Österreicherinnen und Österreicher, "diesen Weg gemeinsam mit uns zu gehen". Die Formulierung war wohl gewählt – sie erinnerte an einen Wahlslogan Bruno Kreiskys. Die Gazetten waren begeistert.

Knapp eineinhalb Jahre später ist viel von dieser Begeisterung verflogen. Das Versprechen vom "neuen Regieren" hat an Glanz verloren, Österreichs Wählerschaft ist so gespalten wie die Gesellschaft. Hier die Türkis-Blau-Fans, dort die anderen. Die einen werden von den anderen gern als "Nazis", Lobbyisten, Sozialabbauer verunglimpft. Die anderen von den einen als "Gutmenschen", links-linke Flüchtlingsfreunde und Öko-Fantasten heruntergemacht. Das ist gesellschaftliche Realität im Österreich des Jahres 2019. Man surfe nur einmal kurz durch die Internetforen. Und was tut der Bundeskanzler aller Österreicherinnen und Österreicher dagegen? Er reißt die Gräben weiter auf.

Mobilisierungsproblem

Ja, Kurz liegt in vielen Umfragen weit vorn. Ja, es ist ihm schon einmal gelungen, ein FPÖ-Thema (Migration) erfolgreich zu kapern und dadurch den Höhenflug der Blauen zu stoppen. Das versucht er nun wieder, weil die ÖVP offenbar ein Mobilisierungsproblem im laufenden EU-Wahlkampf hat. Dafür übernimmt Kurz den "Kompetenzen heim nach Österreich"-Slogan des blauen Spitzenkandidaten Harald Vilimsky. Und wohl nicht zufällig gab er gerade jetzt einer griechischen Zeitung ein Interview, in dem er darauf pocht, dass das "australische Flüchtlingsmodell" (übersetzt: Wir sperren alle auf eine Insel) dank seines Bemühens nun auch in Europa umgesetzt sei. Es mag ihm so gelingen, enttäuschte FPÖ-Wähler auf seine türkise Seite zu ziehen und auch im Nichtwählerpool zu fischen. Es ist natürlich wichtig, auf diesen Teil der Bevölkerung zu schauen. Man darf jene, die Angst haben vor "noch mehr" Ausländern (und erst recht vor jenen, die schon lange hier und gar keine mehr sind), nicht populistischen Aufwieglern überlassen. Man muss aber auch auf die anderen schauen.

Jene, die ihre Zeit investieren, damit Kinder mit anderer Muttersprache Deutsch lesen und schreiben lernen. Jene, die nicht hinnehmen wollen, dass Muslime in Bausch und Bogen als Feinde westlicher Werte angesehen werden. Jene, die davon überzeugt sind, dass man alles tun muss, um Kinder, die mit schlechteren Chancen auf die Welt kommen, zu unterstützen. Diese Liste ließe sich fortsetzen.

Auch auf diese Menschen muss ein Bundeskanzler schauen, auch ihnen hat er ein Angebot zu machen – umso mehr, wenn er strahlende Umfragewerte hat. Aus Umfragen lässt sich nämlich auch anderes lesen: Die Österreicherinnen und Österreicher wünschen sich nicht nur einen Bundespräsidenten, der verbindet. Sie erwarten sich das auch von ihren Bundeskanzlern. Sebastian Kurz macht gerade das Gegenteil davon. (Petra Stuiber, 15.5.2019)