Das Motiv für die Bluttaten ist nach wie vor unbekannt.

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Passau/Wittingen – Im mysteriösen Fall der drei Toten in Passau und zwei Toten in Wittingen ist das Motiv für die Taten nach wie vor unbekannt. Ermittelt wird im Umfeld der beteiligten Personen: Medienberichte vermuteten in dem 53-Jährigen einen "Guru". Laut der Psychologin Ulrike Schiesser von der Bundesstelle für Sektenfragen in Wien müsse zunächst einmal die Dynamik der Beziehungen geklärt werden.

Ein Fall wie in Deutschland sei extrem selten. Zu Massensuiziden im Rahmen von Sektengruppen sei es zuletzt öfter in den 1990er-Jahren gekommen, etwa bei den Sonnentemplern in Frankreich und Belgien oder "Heaven's Gate" in den USA, davor gab es das Jonestown-Massaker, sagte Schiesser am Mittwoch im APA-Gespräch. Generell seien in dem Bereich mittlerweile vielmehr "kleinteilige" Gruppierungen beherrschend. "Vereinnahmungen oder Zirkel, bei denen sechs, sieben Frauen einem Anführer oder Guru hörig sind, die ihr ganzes Leben auf diesen Mann ausrichten, sind nicht so selten", meinte die Expertin. "Dass es aber bis zum Suizid geht, das hatten wir schon lange nicht mehr." Bekannt gewesen sei der 53-jährige vermeintliche "Guru" der österreichischen Bundesstelle für Sektenfragen jedenfalls nicht.

Dynamik der Beziehungen untersuchen

"Man muss in dem Fall, bei dem natürlich noch viel spekuliert wird, schauen, welche Dynamik es in diesen Beziehungen gab", erklärte Schiesser. Eine so starke Beeinflussung könne sektenartige Strukturen haben, es könne aber auch gut sein, dass es sich um ein BDSM-Verhältnis handelte (Abkürzung für die Begriffe Bondage & Discipline, Dominance & Submission, Sadism & Masochism; Sammelbegriff für Sexualpräferenzen, zu denen u.a. Dominanz und Unterwerfung oder auch – freiwillige – Körperverletzungen gehören; Anm.). Ob der 53-jährige Mann überhaupt der Leiter einer möglicherweise bestehenden Gruppierung gewesen sei, wisse man nicht.

Dass Frauen Männern hörig sind, mitunter bis zur Selbstaufgabe, sei ebenfalls nicht selten, eine solche Unterordnung komme auch in Beziehungen häufig vor, meinte Schiesser. "Das ist auch keine rein weibliche Sache, da kommen durchaus Männer zu uns zur Beratung. Vielleicht betrifft es aber mehr Frauen, weil diese stärker auf Soziales konditioniert wurden oder eher den Wunsch haben, etwas Besonderes zu sein, einer Elite anzugehören."

Frauen seien möglicherweise eher auf der Suche nach einer "liebevollen Vaterfigur, die sie nie hatten" und ließen sich daher leichter auf ein derartiges Verhältnis ein. Bei solchen "Gurus" hätten Frauen dann "Prinzessinnenstatus" – die Männer würden vorgeben, das "Besondere" in ihnen zu sehen. Dabei arbeiten sie häufig mit "Zuckerbrot und Peitsche", umschrieb die Psychologin – einmal liebevoll, dann wieder abwertend – was diese Beziehungsdynamik noch intensiviere. "Das ist immer ein schleichender Prozess. Ich nehme an, dass sich das auch in diesem Fall über eine längere Zeit entwickelt hat", so Schiesser.

Gruppe als Sogwirkung

Eine Gruppe habe zudem immer eine Sogwirkung. "Da entsteht eine Blase, eine Echokammer, in der sie sitzen. Man verliert den Blick nach außen", erläuterte die Psychologin. "Ich tippe darauf, dass es ein bestimmtes Motiv hinter dem aktuellen Fall gibt, da muss irgendwas sein. Man muss sich die Frage stellen, gab es ein gemeinsames Ziel, eine gemeinsame Idee, die die Beteiligten verfolgt hatten?" So behaupte beispielsweise eine Amerikanerin, dass Selbsttötung eine Art "Reset-Knopf" sei und wolle das auch ihrer großen Gefolgschaft in den sozialen Medien weismachen.

Bei der Mittelalter-Szene, in der sich die Beteiligten bewegt haben sollen, gebe es keineswegs "automatisch Überschneidungen" mit der BDSM-Szene, so Schiesser. "Die Mittelalter-Szene ist viel zu bunt. Die Lust am Verkleiden ist vielleicht beiden gemeinsam. In Österreich gibt es mehrere Vereine, die Mittelalterfeste organisieren. Da geht's um das Aussteigen aus der Realität, vielleicht um die Sehnsucht nach einem einfachen Leben. Oft sind das richtige Nerds, die sich sehr gut mit dieser Zeit auskennen." Bei den Beratungen der Bundesstelle für Sektenfragen komme die Mittelalter-Szene nicht oft vor, meist seien die Fälle im Esoterik-Bereich angesiedelt.

Wohnung von 53-Jährigem wurde durchsucht

Die Staatsanwaltschaft im niedersächsischen Hildesheim hat die Wohnung des 53-jährigen Toten in Rheinland-Pfalz durchsuchen lassen. In der Wohnung in Borod seien zahlreiche Beweismittel beschlagnahmt worden, teilte die Behörde am Donnerstag mit.

Die Durchsuchung habe die Erkenntnisse untermauern sollen, dass die beiden in Niedersachsen gefundenen toten Frauen mit dem 53-Jährigen bekannt gewesen seien. Es gebe keine Hinweise darauf, dass weitere Beteiligte in das Geschehen involviert gewesen seien.

Am Freitag waren in einer Pension in Passau die Leichen des Manns und zweier Frauen gefunden worden. Die Obduktion der Toten deutete auf einen erweiterten Suizid hin. Die Untersuchungen ergaben, dass bei allen drei Beteiligten abgefeuerte Pfeile in den Körper oder Kopf- und Halsbereich tödlich waren. Am Montag wurden in der Wohnung von einer der in Passau getöteten Frauen im niedersächsischen Wittingen zwei weitere Leichen entdeckt. Die Todesursache ist in den beiden Fällen noch nicht bekannt. (red, APA, 16.5.2019)