Genf – Zwanghaftes Sexualverhalten und Video- oder Onlinespielsucht gehören künftig zum weltweit gültigen Katalog der Gesundheitsstörungen. Die Diagnosen sind in der Internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD-11) aufgeführt, die die Mitglieder der Weltgesundheitsorganisation (WHO) auf ihrer Jahresversammlung in Genf Ende Mai formell verabschieden.

Der erstmals seit 30 Jahren neu gefasste Katalog listet rund 55.000 Krankheiten, Symptome und Verletzungsursachen auf. Ärzte registrieren ihre Diagnosen künftig mit den neuen Codes. Für krankhaftes Video- oder Onlinespielen ist es "6C51", für zwanghaftes Sexualverhalten "6C72". Damit können präzisere Statistiken erstellt und Gesundheitstrends besser dokumentiert werden, sagt Robert Jakob, Gruppenleiter Klassifikationen (ICD) bei der WHO.

"So können Antibiotikaresistenzen erfasst werden", sagt Jakob. Ärzte könnten künftig bei der Diagnose "Lungenentzündung" präzisieren, dass bei einem Patienten antibiotikaresistente Keime entdeckt wurden. "So lässt sich feststellen, wo die Entwicklung neuer Antibiotika besonders dringend ist", so Jakob.

Nun können Ärzte bei einer Blutung im Gehirn auch präzisieren, dass der Patient versehentlich ein Medikament überdosiert hatte. "Wenn sich herausstellt, dass bestimmte Mittel oft falsch eingenommen werden, kann man untersuchen, wie man dem vorbeugen kann", sagt Jakob. Krankheiten sollen von den WHO-Mitgliedern ab Anfang 2022 nach dem neuen Katalog erfasst werden.

Umstrittene Aufnahme von Video- und Onlinespielsucht

Dass zwanghaftes Sexualverhalten und Video- oder Onlinespielsucht in den Katalog aufgenommen werden, ist jedoch umstritten, weil die Diagnosen schwierig sind. Was genau darunter zu verstehen ist, wird in einem Zusatzhandbuch erklärt. Zu zwanghaftem Sexualverhalten könne unter anderem übermäßiger Pornokonsum oder Telefonsex zählen, sagt Jakob. Die Diagnose ist nach Definition von Fachleuten dann angebracht, wenn Betroffene intensive, wiederkehrende Sexualimpulse über längere Zeiträume nicht kontrollieren können und das ihr Familien- oder Arbeitsleben oder das Sozialverhalten beeinflusst.

Gegen die Aufnahme von Video- und Onlinespielsucht hatte vor allem die Gaming-Industrie protestiert. Sie befürchtet, dass Menschen, die viel spielen, plötzlich als therapiebedürftig eingestuft werden. Die Problematik beginnt für die WHO, wenn ein Mensch über mehr als zwölf Monate hinweg alle anderen Aspekte des Lebens dem Spielen unterordnet oder er seine Freunde verliert oder seine Körperhygiene vernachlässigt. Fachlich sei die Diagnose klar definiert, sagt Jakob. "Es gibt keinen Grund, solches pathologisches Spielen aus dem Katalog zu nehmen. Andererseits darf auch niemand, der einfach viel auf dem Computer oder Handy spielt, als krank bezeichnet werden." (red, APA, 16.5.2019)