Der Nahrungsmittelüberfluss hat negative Auswirkungen auf den Darm, vermuten Forscher.

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Kiel – Die Prävalenz von chronisch entzündlichen Darmerkrankungen wie Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa nimmt zu. Eine Ursache liegt unter anderem in Störungen des menschlichen Mikrobioms, also der natürlichen mikrobiellen Besiedlung des Körpers, insbesondere des Darms. Bisher lieferten Forscher für diese gestörte Zusammenarbeit von Körper und Mikroben verschiedene Hypothesen: Eine davon ist die Hygiene-Hypothese. Der Sauberkeitswahn führe dazu, dass die Vielfalt des Mikrobioms abnimmt und den Menschen so anfällig für Krankheiten macht. Die Beweislage dazu ist allerdings noch eher dünn.

Wissenschafter der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) haben nun eine neue und umfassendere, ökologisch-evolutionäre Theorie zur Entstehung von Umwelterkrankungen formuliert. Die Kieler Forscher schlagen vor, dass ein unnatürliches und besonders umfangreiches Nährstoffangebot Bakterien von ihrem Wirtslebewesen entkoppelt und so die feinjustierte Balance des Mikrobioms zerstört. Die überfütterten Bakterien im Darm begünstigen so die Krankheitsentstehung.

Es beginnt im Meer

Den Ausgangspunkt für die CAU-Forscher bildete die Ökologie von Meereslebensräumen: Die Erforschung des Korallen- und Algensterbens und der damit verbundenen Auswirkungen auf wichtige Ökosysteme im Meer deutet neben anderen Faktoren wie dem Klimawandel oder der Überfischung auch auf die Nährstoffverhältnisse im Meereswasser als Ursache des Problems hin.

Sobald sich darin durch menschliche Einflüsse ein zu großes Nahrungsangebot entwickelt, beginnen die mit den Korallen vergemeinschafteten Bakterien, sich von ihren Wirten zu entkoppeln. Sie ernähren sich dann nicht mehr von Stoffwechselprodukten des Wirtes, sondern bevorzugen das reichere Nährstoffangebot des umgebenden Wassers. Die Balance des Korallen-Mikrobioms gerät wegen der Abwanderung seiner symbiotischen Partner durcheinander – das fördert wiederum Krankheiten. "In diesem Zusammenhang zwischen der Nährstoffverfügbarkeit und der Balance der Wirts-Bakterien-Beziehungen sehen wir ein universelles Prinzip, das weit über das sehr spezielle Beispiel der Korallen hinausgeht", erklärt Tim Lachnit, Erstautor der Studie.

"In Untersuchungen an unserem Modellorganismus, dem Süßwasserpolypen Hydra, konnten wird diesen Zusammenhang experimentell bestätigen", ergänzt der Experte. Auch das kleine Nesseltier zeigte deutliche Krankheitsanzeichen, sobald seine normale Nährstoffaufnahme gestört wurde und stattdessen ein Nahrungsüberangebot zur Verfügung stand.

Vom Wirt entkoppelt

Doch was haben Korallen und Nesseltiere mit dem Menschen zu tun? Die im Experiment gewonnenen Erkenntnisse lassen sich den Wissenschaftern zufolge mit großer Wahrscheinlichkeit auch auf die menschliche Gesundheit übertragen. Ähnlich wie im Meerwasser oder der einfachen Körperhöhle eines Süßwasserpolypen, die sich im Laufe der Evolution von ihrer äußeren Umgebung und einer direkten Nahrungszufuhr entkoppelte, ändert sich auch im menschlichen Darm das Nährstoffangebot mit dem geänderten Nahrungsangebot – hin zu einer unausgewogenen, energiereichen und ballaststoffarmen Ernährung.

Eine dauerhaft hohe und zugleich einfach zu verwertende Zufuhr an Nährstoffen bewirke, dass nicht nur der menschliche Stoffwechsel sie nutzt, sondern auch die Bakterienbesiedlung des Darms gewissermaßen "mitgefüttert" werde, vermuten die Forscher. Die Mikroben wechseln von den Metaboliten des Wirtes als Nahrungsgrundlage hin zu überreich verfügbaren Nährstoffen aus der menschlichen Nahrung und entkoppeln sich so von den Wechselwirkungen mit dem Wirtsorganismus. "Diese Überfütterung der Bakterien fördert ihr Wachstum insgesamt, dazu vermehren sich bestimmte Bakterienarten zuungunsten anderer Bakterien des Mikrobioms verstärkt und unkontrolliert", betont Zell- und Entwicklungsbiologe Thomas Bosch von der CAU.

"So verändern sich mit der Zusammensetzung der Bakterienbesiedlung auch die Interaktionen zwischen Bakterien und Wirtsorganismus. Die Folge ist eine schwerwiegende Störung, die Dysbiose", ergänzt Kollege Peter Deines. Zukünftige Forschungsansätze sehen die Studienautoren in den konkreten Mechanismen, die das Mikrobiom ausbalancieren, und in der Frage, ob sich das "Überfüttern" der Bakterien eventuell über geänderte Ernährungsgewohnheiten reduzieren lässt. "Eine interessante Frage wird sein, ob die evolutionär ursprünglichen Abläufe, die für die Balance des Mikrobioms sorgen, auch ein therapeutisches Potenzial besitzen. Außerdem sollten wir uns neben den bekannten gesundheitsfördernden Effekten des Fastens auch mit seinen Auswirkungen auf Zusammensetzung und Funktion des Mikrobioms und damit dem Verlauf von Entzündungskrankheiten beschäftigen", sagt Lachnit. (red, 20.5.2019)