Kuratorin und Veranstalterin Marlene Engel bringt ab Freitag, 17. 5., zwei Wochenenden lang internationale Stars der queeren und nicht so queeren Clubmusik auf die idyllische Wiener Sophienalpe.

Foto: Luca Fuchs

Am Anfang waren Himmel und Erde. Und es war Krems. Die Erde war wüst und leer, und Finsternis lag auf der Tiefe: Ach so, ja, irgendein Geist schwebte auch noch über dem Wasser. Sie nennen es Donau. Die Gymnasiastin Marlene Engel aber, die gemeinsam mit ihrem Bruder dort in Krems unter der Ägide der Spice Girls in der nach einem mythischen Ort aus der Artus-Sage benamsten Absturzhütte Avalon Drum-'n'-Bass-Partys veranstaltete, hörte von weitgereisten Plattenreitern wie dem legendären Spaceant, von dem sich die Alten an den Lagerfeuern noch heute so manche Heldentat an den Technics-Laufwerken der 1990er erzählen, eine verlockende Kunde:

Auch eine Tagesreise flussabwärts, vorzugsweise in der Finsternis am Ende des Tages, sei der Schlag der Trommel und das Pumpen der Bässe bei wilden vergnügungssüchtigen, vom Land geflüchteten Horden als Beschallung verwerflicher nächtlicher Vergnügungen hochangesehen.

Marlene Engel sah, dass es nun gut war mit der Kleinstadt. Sie ging nach Wien, kurz nach Berlin, das Rom des Techno, in das alle Wege der Ausschweifung einmal führen müssen. Zum Studium des Techno heuerte sie dort beim Label Minus Records des Minimal-Pioniers Richie Hawtin an.

Heute ist noch gestern

Zurück in Wien, in der die Partys im Gegensatz zu Berlin nicht immer eine Erdrotation lang dauern müssen, studierte Marlene Engel ein wenig lustlos herum. Sie erkannte, dass Nine-to-five-Jobs für sie nicht so gut wären – und sie begann, Clubbings wie das legendäre, ganz im Zeichen der Diversität stehende Bliss mit zu veranstalten. Da wird dann oft auch recht römisch aus Abend und Morgen ein neuer Mittag.

Anfangs geschah das in runtergerockten Hinterhöfen im damals noch nicht ganz mit hippen Lokalen für vietnamesischen Leberkäse und bergamesische Espressomaschinen zugebauten siebten Bezirk, später gut verteilt in den diversen Clubs der Stadt. Manchmal noch lange vor einer Karriere, die sich die Freunde der Nacht über Social Media zuraunen, spielten bei Bliss hochangesehene, von Engel geholte Acts wie Princess Nokia, Fatima Al Qadiri, Hieroglyphic Being, Inga Copeland oder Mykki Blanco.

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Nach einer Zwischenstation beim Wiener Sound:frame-Festival folgte – Gott würfelt nicht, aber er ist oft recht launig – ein Ruf aus der alten Heimat. Das Donaufestival in Krems und sein dort lange Jahre wirkender Intendant Thomas Zierhofer-Kin sehnten sich nach zeitgemäßer Beschallung der dortigen Räumlichkeiten auf dem Messegelände.

Gleich hinter Engels ehemaligem Gymnasium sollte eines geschehen: Neben grimmigen älteren Gesellen wie Sonic Youth oder Throbbing Gristle und anderen Wildlingen aus den untergegangenen Zeiten des Postpunk und dessen recht oft recht männlich kodierten Frontalunterrichts wäre es nicht schlecht, wenn auch verstärkt moderne Clubkultur, Queerness, Diversität, Feminismus, ein wenig Spaß an der Freude und Lockerheit Einzug auf dem postmodernen Dampfer hielten.

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Dem Donaufestival hat die Verräumung des heteronormativen Ballasts seither recht gutgetan. Es wurde lichter. Und wir alle sahen, dass das Licht gut war. Denn wir gehören nicht der Nacht noch der Finsternis allein. Die mit Künstlern und Agenten bestens vernetzte Hysteria-Burschenschafterin Marlene Engel wechselte mit Zierhofer-Kin 2016 schließlich wieder nach Wien (Puh!).

Spaß an der Freude

Zwei Jahre lang erkundete sie dort mit ihrem Festival Hyperreality für die Wiener Festwochen urbane Räume am Übergang zum Acker. Weit draußen in Schloss Neugebäude oder in einer alten Sargfabrik in Liesing scharten Acts wie Arca oder Kelela nächtelang das vergnügungssüchtige Volk um sich. Doch Wien wurde das närrische Treiben des Festwochen-Chefs Zierhofer-Kin bald zu bunt. Aus Morgen wurde Abend, und Zierhofer ging. Der Neue, Christophe Slagmuylder, mochte keine alten Lasten, sondern lieber Kehraus – wenn auch sein eigener Besen nicht mehr der jüngste ist.

Marlene Engel aber, die für ihre Musik und ihre Partys lebt und auch privat vor Freude und Energie nur so sprüht, hat nun doch wieder ein Hyperreality-Festival auf die Beine gestellt. Weit draußen auf der Wiener Sophienalpe tanzt man zwei Wochenenden lang gegen die Vernunft. Zum Herzschlag der besten Musik. Mit Trommel und Bass. Heuer mit 30 Prozent Männeranteil!

In der Bibel steht etwas von einer Zeit zu tanzen und zu lachen und einer Zeit zu klagen und zu weinen geschrieben. Tintentod! Unsere Zeit auf Erden ist so kurz bemessen, konzentrieren wir uns doch einfach auf die Party. (Christian Schachinger, 16.5.2019)