Die Österreicher haben 2018 gut 333 Millionen Euro für fairen Handel ausgegeben, um neun Prozent mehr als im Jahr davor.

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Wien – "Eine gesellschaftliche Änderung herbeizuführen ist wie das Bohren in Eisenplatten", sagt Fairtrade-Österreich-Chef Hartwig Kirner. Es sei mit dem Weg hin zu einer Gleichstellung der Frauen nicht viel anders als bei gerechteren Handelsstrukturen: "Es bleibt ein langer, zäher Kampf, aber die Welt ist ein gutes Stück weitergekommen."

Die Wirtschaftsleistung werde weiter steigen, das Volumen an Waren und Dienstleistungen zunehmen, ist er überzeugt. Ziel sei es, einen Weg zu finden, mit dem alle Menschen vernünftig leben könnten. Kirner sieht dabei Politik und Unternehmen in ihrer Verantwortung nicht weniger gefordert als Konsumenten. Letztere hätten es jedoch sehr wohl in der Hand, über ihren Einkauf steuernd einzugreifen.

In Österreich hätten sie 2018 gut 333 Millionen Euro für fairen Handel ausgegeben und damit um neun Prozent mehr als im Jahr davor. 49 Millionen Dollar flossen in der Folge als Direkteinnahmen an die Produzentenorganisationen.

Das Volumen an fair produzierten Bananen und Kakao stieg um ein Fünftel. Bei Kaffee gab es ein Plus von acht, bei Baumwolle von 60 Prozent – dank Einkaufssackerln für Supermärkte ohne Plastik. 80 Prozent der Österreicher kaufen gelegentlich, 41 Prozent regelmäßig Fairtrade-Produkte, erhob Marktforscher Marketagent im Vorjahr.

Nichts für die Nische

Fairtrade sei ins Leben gerufen worden, um den Massenmarkt zu erschließen und damit außerhalb von Nischen auch den Weg in Industrie und Handelsketten zu finden, sagt Kirner. Denn um Bauern, die oft weit unter der Armutsgrenze leben, zu helfen, brauche es hohe Volumina. Die superfaire Ernte von, überspitzt gesagt, drei Landwirten aufzukaufen, ändere nichts an den Produktionsstrukturen.

Die immer wieder ins Treffen geführte Rückverfolgbarkeit der Produkte sei möglich, für die Landwirte aber kein wirklicher finanzieller Vorteil – denn sie sei mit enormen Mehrkosten verbunden. Bei Schokolade etwa könnten sich den exakten Nachweis der Herkunft nur wenige Betriebe, die einen Bruchteil des Marktes bedienten, leisten, ist er überzeugt.

Auch die Zahl der Konsumenten, die sich Ursprungsschokolade um gut vier Euro für den Riegel gönnten, sei begrenzt. Kirner: "Entscheidend ist daher nicht, woher genau die Bohne kommt, sondern dass dafür kein Mensch ausgebeutet wurde."

Wissen um die Herkunft

Die sogenannte Massenbilanzierung sei im Übrigen keine Erfindung von Fairtrade, sondern werde von weiten Teilen der Industrie praktiziert. Wo etwa faire Orangen, fairer Tee oder fairer Zucker draufstehen, sind nicht zwangsläufig dieselben drinnen. Denn die Kosten für eine Trennung der Chargen und Produktionsanlagen seien hoch.

Was stimmt, ist die Gesamtbilanz: Die gelieferte Fairtrade-Menge muss der vermarkteten Menge entsprechen. Die Frage sei, sagt Kirner, ob Konsumenten wirklich wollen, dass ihr Geld, das sie für fairen Handel ausgeben, den Bauern zugute komme – oder für das Wissen der genauen Herkunft in der Produktion versickere.

Derzeit können Bauern im Schnitt ein Drittel ihrer fair produzierten Kakaobohnen unter dem entsprechenden Zertifikat verkaufen. Bei Kaffee ist es ein Drittel, bei Bananen die Hälfte. Der Rest landet auf dem konventionellen Markt. 50 Prozent sei ein sehr guter Wert, sagt Kirner. 100 Prozent ließen sich und sollten sich auch nie erreichen lassen, sonst werde die Abhängigkeit von einem Abnehmer zu groß. Zumal auch Händler die Sicherheit benötigten, bei schlechten Ernten auf andere Produzenten zugreifen zu können.

Kirner plädiert für ein weiterhin offenes System – wobei eine Hürde eingezogen wurde: Kooperativen, die sich um das Zertifikat bemühen, müssen mittlerweile entsprechende Fairtrade-Abnehmer nachweisen.

Höhere Preise

Ab Oktober erhöht Fairtrade für Kleinbauern den Mindestpreis für Kakao um ein Fünftel. Auch die zusätzliche Prämie steigt. Seit einigen Jahren werde zusätzlich zu Lateinamerika vermehrt mit Landwirten in Ghana und in der Elfenbeinküste, dem weltweit größten Anbaugebiet für Kakao, zusammengearbeitet, sagt Kirner. Eine Studie habe dort Einkommen gezeigt, die schockierend niedrig seien. Bei 58 Prozent der befragten Haushalte lagen sie unter der absoluten Armutsgrenze.

Angesichts der angespannten Lage diskutierten nun auch die Regierungen der beiden Länder über die Schaffung von Mindestpreisen. Dass sich Schokolade deswegen stark verteuert, glaubt er nicht. Anders als etwa bei Bananen und Kaffee mache hier nicht der Rohstoff, sondern die Verarbeitung den Großteil der Wertschöpfung aus.

Für Kaffeebohnen gibt es derzeit auf dem Weltmarkt 90 Cent für das Pfund. Vor einigen Jahren lag der Preis noch bei rund drei Dollar. Fairtrade zahlt aktuell einen Mindestpreis von 1,4 Euro. Die globale Kaffeeindustrie investiere jährlich 350 Millionen Dollar in Initiativen für mehr Nachhaltigkeit, rechnet Kirner vor. Vergleichsweise elf Milliarden mache der jährliche Preisverfall aus. "Es muss Preise geben, die es den Bauern ermöglichen, von ihrer Produktion zu leben." (Verena Kainrath, 17.5.2019)