Der Vorarlberger Architekt Lukas Böckle hat ein Herz für leerstehende Häuser. Seit letztem Sommer wohnt er in der Villa Müller in Feldkirch – und betreibt das Haus als Thinktank und öffentliche Kulturplattform.

"Ich liege auf dem alten Samtsofa, in gefühlt 2,80 Metern Höhe über dem Fußboden. Unter mir befindet sich ein Sammelsurium an Möbeln. Und wie ich so nach unten durchs Fenster blicke und am Fuße des Berges die Altstadt von Feldkirch entdecke, denke ich mir: super Blickwinkel! Früher habe ich in Wien gewohnt und wollte nie wieder nach Vorarlberg zurückkehren. Trotzdem bin ich seit Sommer 2018 wieder da, in einer Mission wohlgemerkt, und bewohne vorübergehend eine 750 Quadratmeter große Villa mit einem Wohnzimmer, das so groß ist, dass hier meine ganze ehemalige Wiener Wohnung hineinpassen würde. Die Japaner würden es sogar schaffen, zwei oder drei Wohnungen in diesen Salon hineinzustopfen.

"Wie viele Tische braucht man, wie viele Sessel?" Lukas Böckle auf dem Möbelberg im Salon der Villa Müller in Feldkirch.
Foto: Marc Lins

Wie es zu diesem Möbelberg gekommen ist? Letztes Jahr, kurz nachdem ich hierhergezogen bin, habe ich die Vorarlberger Künstlerin Nadine Hirschauer kennengelernt. Sie war gerade dabei, ein Projekt zum Thema Heimat zu planen, und war auf der Suche nach einer geeigneten Location dafür. Ich habe ihr die Villa Müller angeboten, denn genau für solche Aktionen ist dieser Ort konzipiert. Die Villa Müller ist ein Thinktank, ein Seminarort der Extraklasse, eine temporäre Wohn- und Arbeitslocation für Artists in Residence sowie eine Kunst- und Kulturplattform für Musik, Literatur und bildende Kunst.

Anfang des Jahres hat Nadine also begonnen, das Mobiliar im Wohnzimmer Stück für Stück zu inventarisieren und jedes einzelne Möbelstück minutiös aufzulisten – mit der Schreibmaschine, so wie damals. Sobald ein Objekt in die Inventarliste aufgenommen wurde, landete es in diesem Eck des Salons. Und so begab es sich, dass ich eines Tages nach Hause gekommen bin und diesen Möbelberg hier vorgefunden habe. Ich bin von dieser Installation sehr angetan, denn sie veranschaulicht die höchstmögliche Konzentration des Wohnens.

Foto: Marc Lins

Zu vielen Möbeln gibt es keinen Zugang mehr, der Weg zu den eigenen Sachen ist versperrt, und so ist man plötzlich mit der Frage des Überflusses konfrontiert: Was brauche ich wirklich zum Wohnen? Wie viele Sessel? Wie viele Tische? Wie viele Stehlampen? Immerhin: Die Bar steht ganz vorne griffbereit! Ich selbst bewohne ein kleines Schlafzimmer mit 14 Quadratmetern Fläche und einem eigenen Bad mit grünen Oma-Fliesen an der Wand. Die Villa Müller wurde 1960 von Architekt Walter Bosshart errichtet, und zwar für die Familie Müller-Degerdon, die in Bludesch eine große Textilfärberei betrieb. Das Haus war für ein Ehepaar mit drei Kindern und Personal bemessen.

Foto: Marc Lins

Vier Jahre lang stand die Villa nun leer. Seit letztem Jahr nutzen wir sie als Kulturlocation und Seminarhotel – und sammeln nebenbei auf empirische Weise Erfahrungen, um festzustellen, wie dieser Leerstand langfristig am besten nachzunutzen wäre. Bis Jahresende wollen wir eine Entscheidung getroffen und mit der Eigentümerfamilie – die uns übrigens mehr als positiv aufgenommen hat – die Zukunft besprochen haben. Ich bezeichne diesen Prozess als alternative Projektentwicklung.

Foto: Marc Lins

Für mich ist dieser Ort mit all seinen eigenartigen, oft surrealen Momenten ein Zeitzeuge der Sechzigerjahre – und eine Erinnerung daran, mit unseren Ressourcen intelligent und nachhaltig umzugehen. Und nicht sofort alles wegzureißen, nur weil es nicht mehr schön oder funktional ist. Ich bin sehr glücklich hier und erkenne meine Heimat im Gastgeben, Netzwerken und Verknüpfen. Die Villa Müller ist mein ganz persönlicher temporärer Zustand. Der Rest wird sich weisen." (Protokoll: Wojciech Czaja)