"Die Anonymität gehört zum Nährboden der Netz- und Hackerkultur, in der man ohne die Zwänge der analogen Welt mit seiner Identität spielen kann", so Heinz Wittenbrink, der an der FH Joanneum in Graz lehrt, im Gastkommentar. Das geplante Gesetz sei "wirkungslos im Großen und bösartig im Kleinen".

Ich unterrichte an einer österreichischen Fachhochschule. Nach jedem Semester evaluieren die Studierenden anonym meinen Unterricht. Auf meine Karriere könnten sich diese Evaluierungen auswirken: Mein Vorgesetzter erhält sie, und sie werden in der Personalabteilung archiviert. Solche Evaluierungen sind nicht immer qualifiziert, manchmal sogar gemein und beleidigend. Trotzdem werden sie ernst genommen. Die Studierenden, die weniger Macht haben als Lehrende, sind in der Anonymität ehrlicher, als wenn sie persönliche Konsequenzen erwarten müssten. Ohne diese anonymen Evaluierungen wüssten die Verantwortlichen weit weniger gut, wie die Qualität des Unterrichts ist.

Um Lehrveranstaltungen zu evaluieren, wird auf Anonymität gesetzt.
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Nährboden der Netzkultur

Seit jedermann mit einem Rechner ins Netz kommt, kann man online anonym kommunizieren, ohne vorher um Erlaubnis fragen zu müssen. Die Anonymität gehört zum Nährboden der Netz- und Hackerkultur, in der man ohne die Zwänge der analogen Welt mit seiner Identität spielen kann. Die Anonymität stört aber alle, die das Netz kontrollieren wollen. Von jeher wird auf ihre Auswüchse verwiesen, um sie einzuschränken oder zu verbieten. Anonym kann man Beleidigungen äußern, Menschen mobben und zu kriminellen Handlungen auffordern. Man kann auch falsche Nachrichten und Propaganda verbreiten, ohne zur Rechenschaft gezogen zu werden. Ohne Anonymität wäre es aber auch weitaus schwieriger und oft unmöglich, in autoritär regierten Ländern objektive Informationen zu verbreiten und sich gegen die Regime zu organisieren.

Die österreichische Regierung will gerade mit einem Gesetz eine Ausweispflicht im Internet einführen. Sie weiß, dass sie die Anonymität nicht im ganzen Netz verbieten kann. Sie möchte offenbar auch nicht die Regierungspartei FPÖ und deren Aktivisten daran hindern, anonym gegen Minderheiten, Ausländer und Journalisten zu hetzen und Propaganda zu verbreiten. Deshalb ruft sie laut "Haltet den Dieb!" und zeigt auf frauenfeindliche Hasspostings. Tatsächlich schlägt sie aber auf kritische Medien ein, die Communitys aufgebaut haben, die es ohne Anonymität nicht gäbe.

Gefährdete Communitys

Das geplante Gesetz soll nur journalistische Websites regulieren und insbesondere solche, deren Träger von der Presseförderung abhängen. Diese Medien müssen die Identität ihrer Nutzerinnen und Nutzer feststellen und den Behörden die Daten, die sie erhoben haben, übergeben, wenn jemand juristisch gegen ein Posting vorgeht. Sollte dieses Gesetz beschlossen werden, dann ist vor allem das STANDARD-Forum tot, eine der ältesten Communitys im deutschsprachigen Netz. Andere Websites, die zur Netzkultur (und, zugegeben, auch zur Netzunkultur) gehören wie Reddit sind gefährdet – auch wenn man sich schwer vorstellen kann, dass ein kleines Land erfolgreich internationale Communitys drangsaliert. Auch Twitter entspricht übrigens den Bestimmungen dieses Entwurfs nicht.

Wie die meisten Maßnahmen der türkis-blauen Regierung dient dieses Gesetz vor allem dazu, die Öffentlichkeit zu beeinflussen: einerseits, indem man lautstark die Interessen armer Opfer vertritt (hier der Opfer von Hasspostings), aber nicht wirklich etwas gegen die Ursachen tut, etwa Aufklärungsarbeit fördert und sich von Seiten wie "unzensuriert.at" oder der Facebook-Seite Heinz-Christian Straches distanziert. Andererseits, indem man dort zuschlägt, wo man unabhängige Medien treffen kann.

Brutstätten für Hass

Facebook will seine Nutzerinnen und Nutzer seit Jahren dazu zwingen, ihren bürgerlichen Namen anzugeben. Trotzdem ist das soziale Netzwerk eine Umgebung, in der der "Hass im Netz" wie eine Hydra gedeiht. Whatsapp kann man nicht benutzen, ohne sich über seine Telefonnummer zu identifizieren – so wie es wohl in Zukunft auch österreichische Forennutzerinnen und -nutzer tun müssen, auch wenn die Regierung nicht sagen kann, wie das funktionieren soll. Whatsapp ist, etwa in Brasilien, zu einer der übelsten Brutstätten für Hass im Netz geworden. Der rechtsradikale neue Präsident Jair Bolsonaro hätte wahrscheinlich ohne Fake-News und Hasspostings auf Whatsapp die Wahlen nicht gewonnen.

Angesichts dieser Entwicklungen ist das geplante Gesetz zur Ausweispflicht im Netz eine sehr österreichische Ablenkungsaktion: wirkungslos im Großen und bösartig im Kleinen, nämlich in der österreichischen Medienlandschaft. (Heinz Wittenbrink, 17.5.2019)