Nach fünf Tagen hitziger Debatten über die Pommesverordnung, den angeblich übermäßigen Budgethunger der EU-Kommission oder gar den vermeintlichen "Regulierungswahnsinn" in Brüssel steht fest: Sebastian Kurz hat sich sprachlich und inhaltlich schwer vergriffen.

Er erweckte den Eindruck, böse EU-Beamte hätten nichts anderes im Sinn, als die Nationalstaaten mit überflüssigen Vorschriften zuzupflastern und den Österreichern den Schnitzelgenuss zu verderben. Zu plakativ, allzu sinnlos. Derartige Klischees sind Gift für eine seriöse Debatte über die EU.

Zusammenspiel von gemeinschaftlichen Institutionen und nationalen Regierungen

Die Diskussion über das nötige Zusammenspiel von gemeinschaftlichen Institutionen und nationalen Regierungen, das unser offenes Europa mit Binnenmarkt, Euro und unkontrollierten Staatsgrenzen im Inneren bestimmt, erfordert andere Mittel. Ein solcher Griff in die Kiste des puren Populismus war und ist eines Bundeskanzlers unwürdig – auch im Finale eines Wahlkampfs.

Es trifft aber auch nicht zu, wenn Gegner des ÖVP-Chefs so tun, als sei er im unedlen Wettstreit mit seinem EU-skeptischen Regierungspartner FPÖ über Nacht zum "Antieuropäer" mutiert. Die SPÖ-Wahlstrategen etwa, aber auch die Grünen weiden sich in der Version, nach der es die "alte ÖVP" eines Alois Mock als die Europapartei nicht mehr gäbe. Der ÖVP-Kandidat Othmar Karas – von manchen gern als "Paradeeuropäer" und "EU-Priester" überhöht oder verspottet, je nachdem – gehöre nicht mehr in die ÖVP.

Bei den Blauen ist es umgekehrt. Sie behaupten, Kurz sei quasi in ihr Anti-EU-Lager übergelaufen. Es klingt absurd, wenn man sich erinnert, wie der Kanzler Ende 2018 von den EU-Präsidenten für das Handling des EU-Vorsitzes gelobt wurde.

Plakative Zuordnungen

Innenpolitisches Kleingeld. Derart plakative Zuordnungen mögen eingängig sein. Sie funktionieren in den Boulevardmedien, die die politische Öffentlichkeit mit ihrem "Sager"- und Häppchenjournalismus zu EU-Themen oft dominieren. Die Parteien werfen sich ihnen oft vor die Füße, es spielen alle mit: die Grünen (und NGOs), wenn sie bei TTIP vor US-"Chlorhühnern" gegen EU-Freihandel kampagnisieren; die SPÖ, wenn sie billige Slogans von einer "EU der Konzerne" statt der Menschen trommelt; von der FPÖ gar nicht zu reden. Auf der anderen Seite stehen die Neos, wenn sie naiv bis unkritisch die Vorstellung von den "Vereinigten Staaten von Europa" pflegen – völlig illusorisch.

Der Wahlkampf 2019 zeigt zum ersten Mal, dass die alten Bilder und simple Einteilungen in Pro- und Antieuropäer, in "dort Brüssel, da wir", nicht mehr funktionieren, um eine moderne Europadebatte zu führen. Kommissionschef Jean-Claude Juncker hat das im Standard ausgerechnet am Beispiel seines Parteifreundes präzis vorgeführt. Er verurteilte den Schnitzelpopulismus ("total daneben") hart, hält Kurz aber (noch) für einen überzeugten Europäer. Und er warnt den Kanzler eindringlich davor, sich an die Rechten ranzuschmeißen, weil es zur Lösung der Zukunftsfragen differenzierte Herangehensweisen brauche: "Vollzeiteuropäer" statt opportunistische "Teilzeiteuropäer".

Das ist ein schönes Bild. Die Zeit der "Hurraeuropäer" (Juncker) ist vorbei. Und vielleicht wird das Brexit-Chaos dazu führen, dass die Bäume der "Hasseuropäer" bei den Rechten nicht in den Himmel wachsen. Die EU-Bürger sind europainteressiert wie nie. Ein Europa der Zwischentöne, Akzentuierungen, ja sogar Widersprüche wäre angesagt. (Thomas Mayer, 16.5.2019)