Daniel Wisser schreibt bis Ende Juni Miniaturen für den STANDARD.

Foto: Anke Wälischmiller
Die Bratschistin Chiari kehrte Anfang März 1946 in ihre Heimat Wien zurück und bezog eine Wohnung in der Sonnenfelsgasse. Schon beim ersten Spaziergang stellte Chiari fest, dass auf den Straßenschildern immer noch Johann-Sebastian-Bach-Gasse stand – der Name, den die Gasse unter den Nationalsozialisten getragen hatte. Die Bratschistin Chiari schrieb einen Brief an die Stadtverwaltung, um auf den Missstand hinzuweisen. In dieser Nacht hatte Chiari einen Traum: Sie erwachte morgens aus dem Schlaf und rannte über die Treppe auf die Gasse, um die Straßenschilder zu lesen. Sie fand aber keines, sondern begegnete Wolfgang Amadeus Mozart. Mozart fragte sie, warum die Untere Bäckerstraße Untere Bäckerstraße heiße und nicht Obere Bäckerstraße, da sie doch weiter oben läge als die Obere Bäckerstraße, die eigentlich Untere Bäckerstraße heißen müsse. Bevor Frau Chiari antworten konnte, kam ein Passant auf Mozart zu und sagte: "Wenn Sie sich beschweren wollen, müssen Sie schon im Rathaus vorsprechen!" Mozart fragte, wo sich das Rathaus neuerdings befinde. Der Passant antwortete, indem er die Straße hinaufzeigte: "Gehen Sie hinunter bis zum Adolf-Hitler-Platz! Dort ist das Rathaus." (Daniel Wisser, 18.5.2019)