Gegner von Benjamin Netanjahu sehen seinen Vorstoß als "ernsthaften Schlag gegen die Rechtsstaatlichkeit". Europäische Staaten konzentrieren sich derzeit auf den Eurovision Song Contest, der in Tel Aviv stattfindet.

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Tel Aviv – Noch vor der Wahl druckste Israels Premier Benjamin Netanjahu in einem TV-Interview herum, als ihn die Moderatorin auf die Spekulationen über ein Immunitätsgesetz ansprach. "Ich bin nicht involviert und habe auch nicht vor, involviert zu werden", antwortete er auf die Frage, ob er ein Gesetz unterstützen würde, das ihn als amtierenden Premier vor Strafverfolgung schützen würde. Rund einen Monat nach der Parlamentswahl berichten israelische Medien nun, dass der Premier ein solches Gesetz tatsächlich auf den Weg bringen will. Mehr noch: Wahlsieger Netanjahu wolle auch den Obersten Gerichtshof schwächen – was seine Immunität weiter stärken könnte.

Netanjahu und seine engsten Verbündeten hätten damit begonnen, Abgeordnete ihrer Likud-Partei zu briefen, wie sie das Gesetz der Öffentlichkeit verkaufen sollen. Das Argument: Die Menschen hätten Netanjahu vergangenen Monat wiedergewählt, obwohl die Vorwürfe bekannt waren. Rechtliche Verwicklungen sollten deshalb erst nach seiner Amtszeit geklärt werden. Demokratieschützer schlagen Alarm: Es sei ein "eklatanter Versuch, in ein laufendes Strafverfahren einzugreifen, was der Rechtsstaatlichkeit und dem Grundsatz der Gleichheit einen schamlosen Schlag versetzen könnte", schreibt das Demokratieinstitut in Jerusalem. Netanjahu droht eine Anklage in drei Fällen wegen Bestechlichkeit, Betrugs und Untreue – das Gesetz würde ihn rückwirkend vor einem Verfahren während seiner Amtszeit schützen.

"Maximaler Schaden"

Selbst in den Reihen des Likud geht das manchen zu weit. "Diese Gesetzgebung bietet null Vorteile und verursacht maximalen Schaden", sagte der Likud-Abgeordnete Gideon Saar Ende der Woche in einem Interview. Saar gilt als parteiinterner Herausforderer Netanjahus. Geplant ist zunächst, zu einem alten israelischen Gesetz zurückzukehren: Bis 2005 genossen alle Parlamentarier per se Immunität. Mit guter Begründung konnte der Generalstaatsanwalt die Aufhebung bei der Knesset beantragen. Wenn die Knesset sich weigerte, konnte der Oberste Gerichtshof angefragt werden. Und das passierte immer wieder, wenn das Parlament aus politischen Gründen einen Abgeordneten schützen wollte. 2005 beendeten die Parlamentarier diese Spielchen. Seither läuft es umgekehrt: Ein Abgeordneter kann Immunität beantragen, wenn er genug Beweise vorlegt, dass eine drohende Anklage unbegründet ist.

Auch Netanjahu könnte dies – tut es aber nicht. Die Pläne gehen noch weiter. Auch der Einfluss des Obersten Gerichts soll eingeschränkt werden. Netanjahu begründet das in einem Facebook-Post so: Das Gericht habe zu viel Macht, weil es Entscheidungen der Regierung und neue Gesetze kippen kann. "Es war schon immer meine Politik, ein starkes und unabhängiges Gericht zu wahren, aber das heißt nicht, ein allmächtiges Gericht", schreibt Netanjahu. Das Parlament soll deshalb künftig in der Lage sein, Entscheidungen des Gerichts zu übergehen – die oberste richterliche Instanz würde damit zum zahnlosen Tiger verkommen.

Angriff auf die Medien

Das würde im Fall des Immunitätsgesetzes auch bedeuten: Wenn das Parlament sich weigert, die Immunität eines Abgeordneten aufzuheben – zum Beispiel die von Netanjahu –, könnten die obersten Richter das zukünftig nicht mehr revidieren. "Das ist ein sehr, sehr dramatischer Schritt", warnt Amir Fuchs vom Demokratieinstitut. "Wir sehen das als einen ernsthaften Schlag gegen die Rechtsstaatlichkeit." Das Vorhaben sei auch deshalb so gefährlich, weil es keine weiteren Instanzen gebe, die eingreifen könnten. "Wir haben keine zweite Kammer, unser Präsident hat kein Vetorecht, wir haben nicht den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte."

Israels Premier reagiert unterdessen so, wie er es immer tut: mit einem Angriff auf die Medien. Sie seien es, die Vorhaben verzerrt interpretierten und Falsches berichteten, um Angst zu säen und Veränderungen zu verhindern, heißt es in seinem Facebook-Post. Er hingegen wolle nur ein Gleichgewicht wiederherstellen. (Lissy Kaufmann aus Tel Aviv, 17.5.2019)