Bogenschießen ist weit mehr als ein Stock, eine Sehne und ein Pfeil. Der ungarische Verein Zengo Nyíl ("Heulender Pfeil") lässt die untergegangene Kulturtechnik wiederaufleben.
Foto: Mamuz

Die Reiternomaden, die während des ersten Jahrtausends vor unserer Zeitrechnung im Gebiet nördlich des Schwarzen Meeres auftauchten, sind historisch schwer greifbar: Das Wenige, das wir von ihnen wissen, verdanken wir den Aufzeichnungen ihrer schriftkundigen Nachbarn und archäologischen Befunden aus ihrem ausgedehnten Herrschaftsgebiet in der südrussischen Steppe. Der griechische Geschichtsschreiber Herodot berichtet, dass sich die Völker selbst als "Skoloten" bezeichneten. In die Geschichte gingen die Stammesverbände als "Skythen" ein.

Die Skythen waren die Ersten einer Reihe nomadisch lebender Reitervölker, die über eine Zeitspanne von mehr als zwei Jahrtausenden die eurasischen Steppen beherrschten. Ihnen folgten die Hunnen, Awaren, Ungarn, Kumanen, Mongolen und Türken, die riesige, doch meist kurzlebige Reiche errichten konnten. All diesen Völkern ist die Ausstellung "Reiterbögen: Archäologie. Rekonstruktion. Experiment" gewidmet, die heuer im Urgeschichtemuseum Mamuz Schloss Asparn an der Zaya zu sehen ist.

Die Griechen sagten den Skythen einen Hang zum unmäßigen Alkoholkonsum nach – den Wein tranken sie pur, anstatt ihn mit Wasser zu verdünnen, wie ihre zivilisierten Nachbarn dies pflegten. Trotzdem dürften sie jedenfalls noch oft genug ausreichend nüchtern gewesen sein, um sich einen Ruf als gefürchtete Reiterkrieger und treffsichere Bogenschützen zu verdienen.

Psychologische Kriegsführung

Gegen die Kampftechnik der Reiterkrieger fanden die europäischen Heere von der Antike bis ins Mittelalter nur schwer passende Gegenmittel, weshalb die Völker zum Teil weit nach Mitteleuropa vorstoßen konnten. Ihre Reflexbögen bauten sie nicht nur aus Holz – mit Knochen, Horn, Birkenrinde und Sehnen fertigten sie Kompositbögen, die über enorme Reichweiten und Durchschlagskraft verfügten. Mit hochspezialisierten Pfeilspitzen wurde die Wirkung noch weiter erhöht, und zwar physisch wie psychisch. So setzten die Skythen dreiflügelige Spitzen ein, während die Ungarn Pfeilspitzen mit Löchern verwendeten. Damit wurde ein pfeifendes Geräusch erzeugt und der Gegner in Angst und Schrecken versetzt.

Doch was waren die Faktoren, die die technische Überlegenheit der reitenden Bogenschützen ausmachten? Das will das Museum in Asparn mit seinem archäologischen Freigelände und seinem Fokus auf experimentelle Archäologie hautnah nachvollziehen. So wurde auch die aktuelle Ausstellung gemeinsam mit zwei ungarischen Vereinen gestaltet, die eine spezielle Expertise in der historischen Kunst des Bogenschießens und des Bogenbaus aufweisen: Zengo Nyíl Hagyományorzo Lovas- és Íjászegyesület (Heulender Pfeil Traditions-, Reit- und Bogenverein) und Magyar történelmi Íjász Társaság (Ungarische Gesellschaft für historisches Bogenschießen). Diese befassen sich mit dem Nachbau und dem Einsatz von Bögen der längst untergegangenen Kulturen nach wissenschaftlichen Aspekten. Wie können jedoch aus den wenigen erhaltenen Resten und zeitgenössischen Darstellungen das genaue Aussehen und die Herstellungsmethoden rekonstruiert werden? Der Bau eines Bogens ist jedenfalls eine hochkomplexe und langwierige Angelegenheit, die auch sechs Monate und mehr in Anspruch nehmen kann.

Dokumentierter Zerfall

Aufschluss darüber, wie archäologische Funde gelesen werden müssen, gibt auch ein nachgebauter Bogen, der für mehrere Jahre vergraben wurde, um den Zerfall der verwendeten Materialien zu dokumentieren. In einem weiteren Experiment wurden Schusstests mit den verschiedenen Arten der Bögen und Pfeile durchgeführt. So lässt sich nachvollziehen, für welche Zwecke bestimmte Typen eingesetzt wurden. Die Exponate machen auch die technologische Evolution der Waffen nachvollziehbar. Das Set von Bogen, Pfeilen und Köcher wurde von jedem Volk an seine jeweiligen Bedürfnisse adaptiert und weiterentwickelt.

Die Besucher des Museums können sich bei manchen Veranstaltungen sogar selbst im Bogenschießen üben. Schon am kommenden Wochenende bietet sich dazu die Gelegenheit, wenn am 18. und 19. Mai beim Keltenfest eine Reise in die Zeit vor 2500 Jahren angetreten werden kann. Im Schlosspark kann zwischen den originalgetreuen Nachbauten verschiedener Gebäude aus der Steinzeit, Bronzezeit und Eisenzeit historisches Handwerk hautnah miterlebt und zum Teil sogar ausprobiert werden. Hier wird Eisen geschmiedet, Leder verarbeitet und nach originalen Rezepten gekocht. Sogar keltisches Glas wird in einem auf wissenschaftlicher Basis rekonstruierten Glasofen produziert. Und daraus wundervolle Gefäße mundgeblasen oder kunstvolle Armreifen geformt. (Michael Vosatka, 17.5.2019)