Für den Körper gibt es ein reichhaltiges Angebot. Doch nicht nur die Muskeln, sondern auch die Seele braucht Aufmerksamkeit.

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Günther Brandstetter beschäftigt sich von Berufs wegen mit Gesundheit. Im ersten Fitnesscenter für die Seele hat er sich in Stressbewältigung geübt.

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Das Leben in der Großstadt ist anstrengend, vor allem für das Gehirn. Menschenmassen, Autolärm, überfüllte Öffis plus Dauertelefonierer, viel Werbung, Beton und Asphalt. Wer es sich leisten kann, wohnt im Grünen, die anderen müssen sich auf den Weg in die Natur machen. Nach einem anstrengenden Arbeitstag bleibt für mich ein Spaziergang im Wald deshalb meist nur Wunschdenken. Schade, denn bereits zehn Minuten Wald und Wiese senken nachweislich die Produktion des Stresshormons Cortisol.

Eine mögliche Alternative: die Auerspergstraße im ersten Wiener Gemeindebezirk. Hier gibt es zwar jede Menge Verkehr und schlechte Luft, seit rund einem halben Jahr sitzt dort aber auch auf 650 Quadratmetern ein Fitnesscenter für die Seele. Das erste weltweit, sagen die Betreiber. Wer das Etablissement betritt, merkt sofort: Das ist nichts für kleine Geldbörsen. Lichtdurchflutete Räume, edle Holzböden, bemooste Wände, Türen aus kanadischer Baumrinde und jede Menge Hightech. Rund sieben Millionen Euro hat der Gründer Rudolf Öhlinger eigenen Angaben zufolge in diesen Luxus investiert.

Jeder soll hier individuell herausfinden, was sein Geist zur Erholung braucht. Das wird mit einem mentalen Fitnesscheck eruiert. Ich werde von einer Psychologin in einen Gesprächsraum begleitet. Sie ermittelt den Ist- und Sollzustand meiner seelischen Verfassung, ein standardisierter Fragebogen hilft ihr dabei. Wie ist die Schlafqualität, wie groß die Stressbelastung, wie hoch der körperliche Aktivitätslevel? Ob ich mich überfordert oder wertgeschätzt fühle und ausreichend Zeit für mich und meine Bedürfnisse habe, will die junge Psychologin wissen. Rund eine Stunde dauert das Frage-Antwort-Spiel.

Kuscheln und dösen

Auf Basis der Analyse wird mein individuell seelisches Fitnessprogramm zusammengestellt. Ich darf alles ausprobieren. Zuerst das 360-Grad-Kino. Angenehm gedimmtes Licht, Entspannungssessel in der Mitte, über die Wände legt sich die hochauflösende Projektion einer Seenlandschaft. Akustisch stehen klassische Musik, Naturgeräusche oder einfach nur Stille zur Auswahl. Es ist gemütlich, allerdings würde ich jetzt lieber an einem echten Seeufer sitzen.

Weiter geht es in den Lichtraum. Mit Bright Light von 10.000 Lux sollen betrübte Gemüter wieder fröhlich gemacht werden. Mir tun vor allem die Augen weh, das ist nichts für mich.

Der "Snoezelen"-Raum hingegen ist definitiv mein Ruhepol. Das Konzept stammt aus den Niederlanden und heißt so viel wie kuscheln (snuffelen) und dösen (doezelen) zugleich. Mit einem Würfel kann ich das Licht steuern, entscheide mich für ein sanftes Gelb. In der Mitte des Zimmers steht ein Wasserbett, umrahmt von farblich wechselnden Wassertanks, in denen Säulen von Luftblasen vor sich hinblubbern. Ich solle mich auf eine mentale Reise begeben, sagt die Therapeutin, die rechts neben mir sitzt. Dorthin, wo ich mich besonders wohl gefühlt habe. "Mentale Ankerpunkte setzen" nennt sie das. Ich denke an einen Urlaub in Kroatien oder ein Frühstück im Freien in Istanbul. Das ist schon Jahre her. Ich sollte wieder einmal richtig Ferien machen, fällt mir ein. Etwa ein halbe Stunde liege ich da, fast wäre ich eingeschlafen.

Virtuelle Blumen pflanzen

Wer mehr körperliche Aktivität will, kann entweder Yoga- oder Cycling-Kurse buchen. Dieses Angebot habe ich ausgelassen. Auch hier dominiert das Luxusprinzip: Moosbewachsene Wände, Spinning-Geräte aus edlem Holz, auf denen Gruppen von maximal fünf Personen durch projizierte Landschaften radeln.

Den Virtual-Reality-Raum habe ich hingegen ausprobiert. 15 Minuten lang spaziere ich mit meiner VR-Brille durch den digitalen Wald, mache mich auf die Suche nach Schmetterlingen, hebe Samenkörner auf und pflanze neue Blumen in die Wiese. Eine Kunsttherapeutin hilft mir bei meinen ersten Gehversuchen in der virtuellen Welt. Mit den kontemplativen Aufgaben soll der Geist im Hier und Jetzt ankommen. Ich denke wieder: Am liebsten wäre ich jetzt in der analogen Natur.

Esoterikfreie Zone

Fast vier Stunden habe ich meine Seele trainiert. Ich bin erschöpft, normalerweise dauert ein Besuch nicht länger als eine Stunde. Was und wie viel vom Angebot genutzt werden darf, hängt vom Kundenstatus ab. Aktionsangebote gibt es ab 99 Euro pro Monat, wer die gesamte Produktpalette nutzen will, muss mit mehreren Hundert Euro monatlich rechnen. Dafür kann er auch im sogenannten Erkenntnisraum "Humorseminare" oder "Stressbewältigungscoachings" buchen.

Was gut ist: Esoterik wird kleingeschrieben, die Paracelsus Medizinische Privatuniversität in Salzburg begleitet das Projekt wissenschaftlich. Gut, aber kostspielig, lautet mein Fazit. Mir persönlich reicht der echte Wald. (Günther Brandstetter, 19.5.2019)