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Ungewohnt, aber schlüssig: Gersteins Interpretationen im Musikverein.

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Wenn er in São Paulo nächste Woche Schönbergs Klavierkonzert und Gershwins Rhapsody in Blue miteinander kombiniert, wirkt das fast wie ein biografischer Hinweis. Immerhin vertiefte sich Kirill Gerstein zunächst in den Jazz, ehe er sich doch für eine klassische Laufbahn entschied. Und auch in den Wiener Musikverein brachte er (als Einspringer für den von ihm verehrten, leider erkrankten Radu Lupu) ein beziehungsreiches Programm mit vielfältigen Querverbindungen: Die drei Mazurkas für Klavier des Zeitgenossen Thomas Adès, die, von romantischen Gesten und Harmonien ausgehend, dieses Feld aufsprengen, enden etwa mit weiten Sprüngen.

Dies war ein deutlicher Anknüpfungspunkt für Beethovens Sonate c-Moll op. 111, die so ungewohnt wie schlüssig war wie jede der Interpretationen Gersteins: bedächtig, zögernd der schroffe Beginn, zurückhaltend bis zum Stillstand das Arietta-Thema, langsam anrollend und fulminant, aber nicht vordergründig gesteigert das Allegro, mit lockerem Swing der Zwölf-Zweiunddreißgstel-Teil, mit himmelstürmender Leichtigkeit die apotheotischen Trillerfiguren.

Korrespondierende Werke

Wenn er dann im zweiten Teil drei Walzer von Chopin vor die Sonate von Liszt stellte, schienen auch diese Werke miteinander zu korrespondieren: mit einer Betonung des Dramatischen, Abgründigen, Kühnen bei Chopin – und einer eingehenden Beleuchtung des Lyrischen und Poetischen bei Liszt, was den tragischen und heroischen Ton noch stärker wirken ließ.

Gersteins Zugriff ist zu ungewöhnlich, um ihm in wenigen Zeilen gerecht werden zu können: Die Stücke und ihre Beziehungen erscheinen ungeheuer tief durchdacht, um sie dann doch voller Spontaneität wirken zu lassen. (Daniel Ender, 17.5.2019)