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Seit dem Ausbruch im August des Vorjahres sollen sich bis zu 200 Millionen Tiere mit der Afrikanischen Schweinepest infiziert haben.

Foto: Reuters / Darley Shen

So kriegt China seine Tierseuche nicht in Griff." Uwe Trillmann, Produktmanager bei der VzF Uelzen, einem der größten deutschen Dienstleister rund um die Vermarktung von Schwein und Rind, schüttelt den Kopf. Gerade beobachtete er, wie ein Lastwagenfahrer vom Land, der Schweinehöfe der Umgebung mit Futter beliefert, grundlegende Vorsorgemaßnahmen wie die Säuberung des Fahrzeugs mit Hochdruckreinigern samt anschließender Desinfektion missachtet hatte.

"Die Schutzanlagen der Großbetriebe sind tipptopp. Aber die Fahrer wissen es nicht besser", ergänzt der Berliner Jochen Noth, Berater für Tierwirt-Ausbildungsprogramme, der die Szene mit ansah. Beide Agrarexperten sind im chinesischen Binnenland unterwegs, um für das deutsche Bundesministerium für Forschung und Entwicklung den Grundstein für ein neues Landwirte-Berufsbildungszentrum in Weifang zu legen.

Dabei ist das Einhalten der grundlegenden Vorsorgemaßnahmen auch für die Pekinger Regierung das Gebot der Stunde. China, wo die meisten Hausschweine der Welt (700 Millionen jährlich bei einem Bestand von mehr als 430 Millionen Tieren) gezüchtet und konsumiert werden, wird seit Monaten von der schlimmsten Tierepidemie seit Jahrzehnten heimgesucht. Das für Schweine tödliche Virus des Afrikanischen Schweinefiebers, gegen das es keinen Impfstoff gibt, hat die Seuche im August in Nordostchina ausgelöst. 131 seither gemeldete Ausbrüche und unzählige infizierte Zuchthöfe in allen Teilen des Landes wurden isoliert und ihre Schweinebestände gekeult.

Ausmaß heruntergespielt

Das wirkliche Ausmaß der Krise wird offiziell heruntergespielt; die Medien berichten nach einheitlichen Vorgaben. Sprecher Meng Wei von der Reform- und Entwicklungskommission NDRC, die auch für Preisstabilität zuständig ist, beschwichtigte Menschen mit Ängsten vor Inflation. Die Schweinefleischpreise, die sich Anfang Mai um 14,6 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat verteuerten, sollten "nicht überbewertet werden". Sie wirkten sich nicht auf die Stabilität der Verbraucherpreise aus. Es gebe ausreichend Geflügel, Fisch und Eier als Alternativen.

Regierungsbeamte sagten auf dem sechsten Global Pig Forum am Wochenende in Wuhan, an dem auch die Deutschen teilnahmen, sie hätten alles im Griff. Vizeleiter Chen Guanghua aus dem Landwirtschaftsministerium bezifferte die bisher zwangsgetöteten Schweine mit 1,12 Millionen Tieren. Die tatsächliche Zahl dürfte hundertfach höher liegen.

Produktionseinbußen zwischen 25 bis 35 Prozent

Agrarspezialisten der niederländischen Robobank schrieben in ihrer jüngsten Studie, sie erwarteten "in China 2019 Produktionseinbußen bei Schweinefleisch zwischen 25 bis 35 Prozent des Bestandes". Seit vergangenem August hätten sich geschätzte "150 bis 200 Millionen Schweine infiziert, ebenso viel wie das gesamte jährliche Schweinefleischangebot in Europa ausmacht".

Auch Trillmann, der sich auf Auskünfte von Fachkollegen auf der Wuhaner Konferenz und Betriebsbesuche stützt, schätzt, dass 160 bis 180 Millionen Tiere infiziert sind. Da Chinas Schweinebestand die Hälfte der Weltpopulation ausmache, könne das zu einem 20-prozentigen Rückgang des Weltangebots führen. Selbst wenn es Peking gelänge, die Ausbreitung der Schweinepest zu stoppen, werde das Land fünf bis sieben Jahre brauchen, um sich auf den Stand von 2018 zu erholen.

Die Epidemie hat bisher wenig internationale Aufregung ausgelöst, weil sie nur Schweine ansteckt und für Menschen ungefährlich ist. Die Verbreitung verlaufe langsam, weil sich der Erreger nicht über Luft oder Wasser übertragen kann, sondern über Blut und nicht richtig abgekochte Nahrungsmittel. Etwa wenn Lkw-Fahrer infizierte Essensreste entsorgen, die dann in die Futterketten gelangten.

Ausbreitung bis Europa

Schweinepestfälle melden seit August auch Chinas Nachbarländer von Kambodscha bis zur Mongolei. Allein in Vietnam mussten seit der ersten gemeldeten Infektion im Februar mehr als 1,3 Millionen Schweine gekeult werden, schreibt die UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation. Die "endemische Seuche" habe auch Europa erreicht, wie Fälle in den baltischen Staaten, Polen und Russland bis Belgien zeigten, berichten die Forscher der Rabobank. Den Virus könnten infizierte Wildschweine verbreiten, die selbst resistent sind, sagt Trillmann.

Österreich und Deutschland sind bisher nicht betroffen. Allerdings lässt die steigende Nachfrage aus China die Preise auch hierzulande ansteigen. Ende April veranschlagte das Agrarministerium für heuer Fleischimporte von 1,7 Millionen Tonnen, 40 Prozent mehr als im Vorjahr. 2020 sollen es 2,1 Millionen Tonnen werden. Erwartet wird, dass sich die Preise um 40 Prozent gegenüber 2018 erhöhen werden. Haupteinfuhrländer sind Kanada, Brasilien und Europa.

Die einen führen aus, die anderen kaufen zu

Aus politischen Gründen und wegen des Handelsstreits mit Washington stornierte Peking Importe aus den USA. Wie Bloomberg meldete, erhöhte es dafür seine Einfuhren aus Kanada im März auf gut 33.000 Tonnen, 80 Prozent mehr als im Vorjahresmonat. Grotesk ist, dass Kanada, um so viel Fleisch ausführen zu können, große Mengen aus den USA zum Eigenverbrauch zukaufen muss.

Inzwischen zeigt sich Pekings Führung über ihr Schweinedesaster öffentlich besorgt. Vizepremier Hu Chunhua forderte alle Agrarverantwortlichen auf, die "epidemische Afrikanische Schweinepest" verstärkt zu bekämpfen. "Die dramatische Entwicklung wird China erst in Griff bekommen, wenn der letzte Hinterhofbauer informiert ist und alle wissen, dass Essensreste hoch erhitzt werden müssen", sagt Trillmann. Peking müsse auch Anreize über angemessene Entschädigungen für Bauern schaffen, damit sie infizierte Tiere sofort melden und keulen lassen. (Johnny Erling, 21.5.2019)