Bild nicht mehr verfügbar.

FDP-Chef Lindner hat die Idee eines Jamaika-Bündnisses noch nicht verworfen.

Foto: REUTERS/Hannibal Hanschke

STANDARD: Bei der EU-Wahl 2014 schaffte die FDP nur 3,4 Prozent. Worauf hoffen Sie nun?

Lindner: Wir wollen unser Ergebnis verdreifachen und als liberale Familie, zu der ja die Neos in Österreich gehören, so stark werden, dass die informelle große Koalition aus EVP und Sozialisten nicht allein weitermachen kann. Die Lethargie und Tatenlosigkeit in den großen Fragen muss überwunden werden. Auf der anderen Seite zeigen die Vorgänge um die FPÖ in Österreich, dass Rechtspopulisten keine Macht bekommen dürfen. Die AfD in Deutschland ist mit der FPÖ ja geistesverwandt.

STANDARD: Die FDP plant die Zusammenarbeit mit der Bewegung des französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Verkörpern sie denselben Liberalismus?

Lindner: Ich begrüße, dass sich beide Seiten auf das Ziel einer gemeinsamen Fraktion verständigt haben. Wir stehen uns näher, als sich CDU und die ungarische Fidesz-Partei von Viktor Orbán nahestehen. Gleichwohl argumentiert Emmanuel Macron aus seiner französischen Mentalität heraus staatsgläubiger, als es deutsche Liberale tun. Freiheitsorientierter als unter Macron wird Frankreich allerdings nicht werden.

STANDARD: Angela Merkel reagiert auf seine Vorstöße zögerlich.

Lindner: Das ist ein schweres Versäumnis. Deutschland hat sich in vielen Fragen isoliert und ist auf unsere Partner oft mit einer moralischen Überheblichkeit zugegangen: Bei der Migrationspolitik handelte die Regierung im Alleingang, bei Energie und Klima nimmt die Bundesregierung andere in Mithaftung für ihre Politik.

STANDARD: Apropos Klimaschutz: Sie haben den Jugendlichen von Fridays for Future geraten, dies den Profis zu überlassen. War das nicht ziemlich arrogant?

Lindner: Ich bin der Meinung, dass Politiker und auch die jungen Leute sich demokratisch auf Ziele verständigen sollen. Aber wir müssen weg von der Vorstellung, sie könnten technische Lösungen vorgeben. Das sollten wir Ingenieuren und Wissenschaftern überlassen.

STANDARD: Aber ist es nicht die Aufgabe der Politik zu steuern?

Lindner: Ich glaube, dass die Politik die Ziele beschreibt. In dem Fall sind die Pariser Klimaziele verbindlich. Aber wie wir dorthin gelangen, dafür hat Deutschland die soziale Marktwirtschaft. Beim Klimaschutz heißt das: Wir wollen CO2 einsparen. Aber ob die Sanierung einer Heizung oder der Anbau von Seegras zur CO2-Speicherung das Günstigste ist, sollten Verbraucher, Investoren und Wissenschafter miteinander klären.

STANDARD: Reagieren Sie mit Ihrem Klimaschutzmodell auf das Umfragehoch der Grünen?

Lindner: Nein. Wir haben eine komplett andere Herangehensweise: Die Grünen führen einen Kulturkampf gegen das Auto, gegen Flugreisen, gegen Fleisch. Wir wollen diese Bevormundung nicht, sondern verbinden Klimaschutz mit einer freien Lebensweise und dem Erhalt unseres Wohlstands. Die Grünen wollen die Flugreise rationieren, wir wollen das Wasserstoffflugzeug entwickeln, mit dem klimaneutrale Reisen möglich sind.

STANDARD: Jamaika – also ein Bündnis aus Union, FDP und Grünen – scheiterte nach der Bundestagswahl 2017 an der FDP. Bereuen Sie das manchmal?

Lindner: Warum sollte ich? Ich behaupte, Jamaika würde es heute gar nicht mehr geben. Die Streitereien zwischen Frau Merkel und Herrn Seehofer wären doch nicht geringer gewesen, wenn Herr Hofreiter (Grüner Fraktionsvorsitzender, Anm.) und ich mit am Tisch gesessen hätten.

STANDARD: Rückt Ihnen die CDU mit ihrer neuen Chefin gerade wieder näher?

Lindner: Es gibt unterschiedliche Signale. Dass die CDU nach der Wahl von Annegret Kramp-Karrenbauer plötzlich auch Steuersenkungen will, bringt uns die Union näher. Aber konkret, im Bundestag und in der Bundesregierung, unternimmt die Union nichts. Die CDU sucht zwischen zwei Polen – Parteivorsitzende und Kanzlerin – noch ihren Kurs.

STANDARD: Gäbe es mit Annegret Kramp-Karrenbauer noch einmal eine Chance auf Jamaika?

Lindner: Wir sind jederzeit bereit, über Jamaika zu reden. Mit Merkel und den Grünen war allerdings 2017 kein Aufbruch erreichbar. Wenn, sagen wir, bei Europa, Einwanderung, Bildung, Steuern und Energie ein anderes Angebot käme als 2017, dann kann man darüber sprechen. (Birgit Baumann, 21.5.2019)